Gerechtigkeit für F.D.Roosevelt
5. März 2003 •

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Das Programm zur Bekämpfung der Großen Depression, womit F.D.Roosevelt
1931-32 in den Präsidentschaftswahlkampf gegen Herbert Hoover zog, war
in seinen Grundzügen identisch mit den Plänen zur Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit durch öffentliche Arbeiten, finanziert durch
produktive Kreditschöpfung, wie sie zur gleichen Zeit in Deutschland
diskutiert wurden. Entsprechende konkrete Vorschläge waren vom
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (Woytinsky-Tarnow-Baade-Plan),
von Dr. Wilhelm Lautenbach, dem Ökonomen im
Reichswirtschaftsministerium (Lautenbach-Plan), oder reformorientierten
Unternehmern wie Heinrich Dräger vorgelegt worden.

Helga Zepp-LaRouches grundlegende Rede zu diesem Thema wurde von der BüSo unlängst in großer Auflage verbreitet (siehe Neue Solidarität [url:"http://www.solidaritaet.com/neuesol/2003/1/zepp-lar2.htm]Nr. 1-3, 2003).
Sie erläutert darin das Konzept der produktiven Kreditschöpfung und
stellt fest: Wenn dieses Programm 1931 oder spätestens unter
Reichskanzler von Schleicher verwirklicht worden wäre, hätte Hitlers
Machtergreifung verhindert und die Nazi-Bewegung zurückgedrängt werden
können. Der Zweite Weltkrieg wäre vermutlich ausgefallen.

F.D.Roosevelt ist bei Deutschen, die alt genug sind, um das
Kriegsende bewußt miterlebt zu haben, nicht beliebt. Sein Beharren auf
"bedingungsloser Kapitulation" war auch wirklich ein verhängnisvoller
Fehler, der unnötig Zigtausenden von Menschen das Leben kostete. Auch
das Bündnis mit Stalin wird ihm übel angekreidet, wobei man allerdings
bedenken sollte, in welchen Kontext dieses Kriegsbündnis einzuordnen
ist: 1. Hitlers erklärte Kriegsabsichten zur kolonialen Versklavung
Rußlands in Mein Kampf; 2. die britische Strategie, Deutsche
und Russen sich gegenseitig ausbluten zu lassen; 3. Hitlers
Angriffskriege gegen Polen, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Belgien,
Holland, Jugoslawien und Griechenland, die alle okkupiert wurden; und
4. Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, dem 20 Mio. Russen zum Opfer
fielen. Und dies alles vor dem Kriegseintritt der USA.

Noch ein Vorwurf wird immer wieder erhoben: Roosevelt habe
schon vorher vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 gewußt und
ihn dann als Vorwand zum amerikanischen Kriegseintritt benutzt. Weshalb
ist dieses Argument gerade heute so populär, wo die Washingtoner
Kriegsfraktion eine neue "Nationale Sicherheitsdoktrin der USA"
durchgesetzt hat und weltweit propagiert, die im Rahmen vorbeugender
Selbstverteidigung sogar das Recht eines nuklearen Erstschlags für sich
beansprucht? Nach bisher geltendem Völkerrecht beginnt die
Selbstverteidigung erst nach dem Angriff eines Gegners. Wer also
Roosevelt vorwirft, den Angriff auf Pearl Harbor "abgewartet" zu haben,
spielt damit den Befürwortern eines Präventivkriegs in die Hände.

Man stellt sich nur selbst ein Bein, wenn man den Fehler macht,
FDR bloß durch die Brille des Zweiten Weltkriegs zu betrachten. Selbst
seine Kritiker unter einigen Leserbriefautoren müssen zugeben, daß sich
die amerikanische Bevölkerung zu Recht positiv an den New Deal, die
Arbeitsbeschaffung, die Sozialgesetze und die Ausweitung der
industriellen Kapazitäten Amerikas erinnert.

Aber der entscheidende Punkt ist: Die gleiche Politik hätte
1931-32 auch in Deutschland Millionen Menschen Arbeit und Hoffnung
geben können. Genau so beurteilt übrigens Wladimir Woytinsky, der
Verfasser des berühmten "Woytinsky-Tarnow-Baade-Plans" des ADGB zur
Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung, Roosevelts
Wirtschaftspolitik.

 

<a name="G1">Woytinsky über FDR

Wladimir Saweljewitsch Woytinsky (1885-1960), Sohn eines
Mathematikprofessors in St.Petersburg, schrieb als 17jähriger
Gymnasiast sein erstes Buch über Ökonomie. Als Student trat er 1905 der
sozialistischen Bewegung bei und nahm als Vorsitzender des
Studentenrates und Präsident des Rates der Arbeitslosen in
St.Petersburg an der ersten russischen Revolution gegen das zaristische
Feudalregime teil. 1908 wurde Woytinsky verhaftet und wegen
Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands
(SDAPR) zu vier Jahren schwerer Zwangsarbeit und lebenslanger
Verbannung nach Sibirien verurteilt. In der Verbannung lernte er seine
Frau Emma kennen, im Juli 1917 heirateten sie. Die Oktoberrevolution
beendete die Verbannung, und das junge Ehepaar kehrte nach
St.Petersburg zurück.

Woytinsky unterstützte den Umsturz gegen das Feudalregime,
wollte es aber durch eine demokratische parlamentarische Ordnung
ersetzt sehen, wie der Menschewist Tseretelli sie forderte. Deshalb kam
es 1917 nicht nur zum Bruch mit Lenin, sondern Woytinsky organisierte
bewaffneten Widerstand von Teilen der Armee gegen Lenins
bolschewistischen Staatsstreich. Nach der Niederlage kam er erneut in
Haft, konnte jedoch nach einigen Monaten aus dem Lager entfliehen und
nach Georgien entkommen.

1922 kamen die Woytinskys nach Berlin, 1929 wurde er Leiter der
Statistischen Abteilung des ADGB und entwickelte den
Arbeitsbeschaffungsplan des ADGB. Als einziger im ADGB-Vorstand stimmte
er am Ende dagegen, sich der Forderung der Nazis nach Beteiligung der
Gewerkschaften an der Kundgebung zum 1.Mai 1933 zu beugen. Er legte
sein Amt nieder und emigrierte in die Schweiz. Nach Zwischenstationen
in Zürich, Paris und Genf wanderte er mit seiner Frau 1935 in die
Vereinigten Staaten aus.

Er kam in das Amerika unter Präsident Franklin Delano Roosevelt
und war begeistert von dessen Persönlichkeit und der entschlossenen,
wenn auch pragmatischen Art, wie dieser die Probleme der
Weltwirtschaftskrise anging und meisterte. Natürlich vergleicht
Woytinsky in seiner Autobiographie1
Roosevelts Wirtschaftspolitik mit der Deflationskatastrophe der
Weimarer Republik: &quot;Baute FDR seine Nation nicht ebenso effektiv auf,
wie Brüning die Weimarer Republik zerstört hatte? Einfache Leute, mit
denen wir in allen Landesteilen zusammentrafen, betrachteten Roosevelt
als ihren Präsidenten.&quot;

In den USA war Woytinsky zunächst für den Central Statistical
Board (1935), für verschiedene sozialpolitische Ausschüsse und mehrere
Jahre (1942-47) für den Social Security Board tätig, wo er half, die
Systeme der Renten- und Arbeitslosenversicherung aufzubauen.

Bei seinen Prognosen ließ Woytinsky sich ebensowenig wie
LaRouche von anderslautenden Meinungen der Fachwelt einschüchtern. Die
Fachwelt sagte voraus, nach Kriegsende werde es durch das Ende der
Kriegswirtschaft Massenarbeitslosigkeit, Mangel an Nachfrage und ein
Absinken des Lebensstandards geben. Woytinsky war der einzige, der
schon lange vor Kriegsende einen anhaltenden Nachkriegsaufschwung
ansagte, weil er sah, welche wirtschaftlichen Kräfte durch Roosevelts
Kriegsmobilisierung und die strukturellen Änderungen im Rahmen des New
Deal freigesetzt worden waren.

Unsere Regierung sollte sich ebenso wie die Opposition
folgenden Ausspruch Woytinskys eine Warnung sein lassen: &quot;Eine
Gesellschaft, die es nicht schafft, normale Arbeitsmöglichkeiten für
einen großen Anteil ihrer Mitglieder bereitzustellen, hat ihre
Existenzberechtigung verwirkt, und selbst wenn sie diese Berechtigung
behielte, sie hätte nicht die Kraft, sich gegen die Zerreißkräfte von
innen und von außen zu wehren.&quot;2


Anmerkungen

1. W. Woytinsky, Stormy Passage, New York 1961, S. 499ff.

2. W. Woytinsky, Three Sources of Unemployment, International Labour Office, Genf 1935, 166 S., 41 graphische Darstellungen.





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