Bleiben Sie im Amt, Herr Wulff! Sie hatten recht mit Ihrer Lindauer Rede!
14. Januar 2012 •

[
Von Helga Zepp-LaRouche

Es geht gar nicht darum, ob Christian Wulff ein großartiger Bundespräsident ist oder ob er sich ungeschickt verhalten hat: Es geht darum, daß die internationalen Finanzkräfte Zweifel haben, ob er, angesichts der in seiner Lindauer Rede geäußerten Überzeugungen, seine Unterschrift unter den „dauerhaften Rettungsschirm ESM“ setzen wird. Wenn überhaupt jemand das Amt des Bundespräsidenten beschädigt hat, dann nicht Herr Wulff, sondern die Medienvertreter, die in einer abscheulichen Hetzkampagne einen Rufmord nach Salamitaktik betreiben. Diese Finanzkräfte sehen in der kurzfristigen Durchsetzung des (hyperinflationären) ESM die letzte Chance, den vollständigen Kollaps des durch und durch bankrotten transatlantischen Finanzsystems wenigstens kurzfristig hinauszuzögern.

Die gleichen Medien machen sich schuldig, daß sie die Bevölkerung im Dunkeln darüber lassen, daß sich die Welt am Rande des Dritten Weltkrieges befindet. Im Indischen Ozean und im östlichen Mittelmeer befindet sich derzeit ein Militäraufmarsch von amerikanischen, britischen, kanadischen, israelischen, iranischen und russischen Militäreinheiten, die über ein Atompotential verfügen, das um mehrere Größenordnungen größer ist, als für die Vernichtung der gesamten Menschheit notwendig ist. Iranische Manöver in der Straße von Hormus, amerikanisch-britisch-israelische Manöver in Israel, die Entsendung von russischen Kriegsschiffen nach Syrien: all dies sind Elemente eines Pulverfasses, das durch die kleinste Erschütterung explodieren kann, unbeabsichtigt oder gewollt.

Der frühere russische Botschafter bei der NATO, Dmitrij Rogosin, warnte soeben in seiner Abschiedsrede, Rußland werde einen Angriff auf den Iran als „direkte Bedrohung für unsere Sicherheit“ betrachten. Für Amerika sei der Iran sehr weit entfernt, gewissermaßen auf der anderen Seite des Planeten, aber für Rußland befinde sich der Iran direkt südlich des Kaukasus. Deshalb sei jede militärische Aktion eine direkte Bedrohung für Rußland. Rußland sei selbst als verantwortungsbewußte Nation daran interessiert, daß es nicht zu einer Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen komme, aber der Iran habe wie alle anderen Nationen das Recht auf moderne Energiequellen. Rußland verfolge jedoch sehr nachdrücklich eine Politik, die verhindern werde, daß diese Technologie für militärische Zwecke genutzt werden könne.

In einer ebenfalls auf Kriegsvermeidung ausgerichteten Aktion lieferten russische Militärschiffe größeres Kriegsgerät an Syrien, darunter höchstwahrscheinlich Batterien für die S-300-Boden-Luft-Raketen, die technisch dem höchsten Standard entsprechen.

Die USA erklärten ihrerseits, die vom Iran für den Fall einer Verschärfung der Sanktionen angekündigte Blockade der Straße von Hormus sei die „rote Linie“, und die USA seien in der Lage, diese für den internationalen Transport strategisch entscheidende Straße wieder zu öffnen. Gleichzeitig erklärte der britische Premierminister Cameron während einer Reise in Saudi-Arabien, der Iran stelle eine klare Bedrohung dar und die Regierung Assad in Syrien habe jegliche Legitimation verloren.

Die iranische Regierung wiederum machte die USA und Großbritannien verantwortlich für die Ermordung des vierten iranischen Atomwissenschaftlers, Mostafa Ahmadi Roshan.

Wenn man die internationalen - aber leider nicht die deutschen - Medien verfolgt, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Eskalation täglich zunimmt und wir uns in gefährlicher Weise auf einen möglichen Dritten Weltkrieg hin bewegen. Wieso aber die saudiarabische Regierung weniger repressiv sein soll, als es Mubarak und Gaddafi waren oder Assad sein soll, das muß Herr Cameron erst noch erklären.

Die Ursache der Kriegsgefahr

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, geht es bei der Kriegsgefahr nur vordergründig um Syrien oder den Iran, sondern in Wirklichkeit um Rußland und China. Während die systemische Finanzkrise in der transatlantischen Region auf ihre Endphase zusteuert, haben die asiatischen Großmächte trotz aller Schwierigkeiten noch relativ gute Wachstumsraten. Die angloamerikanische Politik von Obama und Cameron ist derzeit von den gleichen geopolitischen Motiven getrieben, wie die Politik des britischen Empires vor dem Ersten Weltkrieg: Sie sehen in der infrastrukturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des eurasischen Herzlandes die Bedrohung der transatlantischen Randländer.

Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit von neun Euro-Ländern durch die amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s, darunter mit Österreich und Frankreich zwei Länder der höchsten Bonitätsstufe AAA, einige darunter sogar um zwei Stufen, deutet auf das baldige Ende des Euro hin, man mag von den Rating-Agenturen halten, was man will. Damit wird erneut ein „Deleveraging“ - eine Kettenreaktion der Entwertung kreditfinanzierter Papiere - im ohnehin nicht transparenten Banken- und Schattenbanksektor in Gang gesetzt, was das Ende beschleunigen wird. Da der Versuch, die EFSF mit einer Hebelung auszustatten, nur sehr mangelhaft geglückt ist, ist die Panik unter den Regierungen groß.

Wie Bild am Sonntag berichtet, überlegt die Regierung in Berlin einen Blitzstart für den dauerhaften Rettungsschirm ESM, und es zirkulieren Gerüchte, daß der ESM-Vertrag wegen der Dringlichkeit der Lage bereits beim kommenden EU-Gipfel Anfang März unterzeichnet werden soll. Ursprünglich sollte der ESM erst 2013 in Kraft treten, was dann auf Mitte 2012 vorgezogen wurde. Mit dem ESM würde aber die Linie zu einer europäischen Wirtschafts-Regierung überschritten, für die nach dem so genannten Lissabon-Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes eine Volksbefragung nach Art. 146 des Grundgesetzes notwendig wäre.

Auf jeden Fall müßte Bundespräsident Wulff eine solche Gesetzesänderung zum ESM unterschreiben. Und wahrscheinlich erinnert sich noch jeder an die merkwürdigen Umstände, unter denen sein Vorgänger Horst Köhler von seinem Amt zurücktrat, nachdem er seine Unterschrift unter das erste Rettungspaket für Griechenland setzen mußte. Könnte es sein, daß die Finanzkreise, deren System dabei ist, unterzugehen, auf Nummer sicher gehen wollen?

Wulffs Lindauer Rede

Erinnern wir uns an die Rede, die Christian Wulff am 24. August 2011 in Lindau am Bodensee vor 17 Wirtschafts-Nobelpreisträgern, 370 jungen Ökonomen aus aller Welt und der internationalen Presse gehalten hatte. Es war eine Generalabrechnung mit der Politik der G20-Regierungen und der fortgesetzten Rettungspakete. Wulff sagte damals: „Wir sehen tatsächlich weiter eine Entwicklung, die an ein Domino-Spiel erinnert: Erst haben einzelne Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten vor allem ihre Banken gerettet, jetzt rettet die Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Da ist die Frage nicht unbillig: Wer rettet aber am Ende die Retter?“

Wulff attackierte auch die EZB für ihre Staatsanleihenkäufe, die er als „rechtlich bedenklich“ und „weit über ihr Mandat hinaus“ bezeichnete. Viele Regierungen hätten den Ernst der Lage noch nicht erkannt. „Mich stimmt nachdenklich, wenn erst im allerletzten Moment Regierungen Bereitschaft zeigen, Besitzstände und Privilegien aufzugeben und notwendige Reformen einzuleiten.“ Weil sie lange die desolaten Finanzen schleifen ließen, seien die Staaten unter Druck. Die Politik lasse sich von Banken, Ratingagenturen und Medien „am Nasenring durch die Manege“ führen. Die Parlamente seien kaum noch an den Entscheidungen beteiligt, und die Lasten würden nur auf kommende Generationen abgewälzt.

Wenn man einen Blick auf die Weltlandkarte wirft, ist deutlich, daß Rufmord und Regimewechsel jedes Mal dann angesagt ist, wenn sich irgendwo jemand in Verantwortung den Interessen der Finanzoligarchie widersetzt. Als Bill Clinton im September 1998 vor dem New Yorker Council of Foreign Relation eine Reform der internationalen Finanzarchitektur verlangte, wurde gegen ihn die Monica-Lewinsky-Affäre in Gang gesetzt. Eine Devisentransaktion der Ehefrau des Chefs der Schweizer Nationalbank, Hildebrand, der sich für eine Reregulierung des Bankensektors eingesetzt hatte, wurde an die Öffentlichkeit gespielt und führte zu seinem Rücktritt. Gegen die ungarische Regierung, die versucht, sich dem Würgegriff des EU-Diktats zu widersetzen, ist Regimewechsel auf der Tagesordnung. Und da soll die völlig unverhältnismäßige Medienkampagne gegen Bundespräsident Wulff nur etwas mit seinen nicht ganz vollständigen Aussagen vor dem niedersächsischen Landtag zu tun haben?

Bundespräsident Wulff sollte in die Offensive gehen und die Aussagen seiner Lindauer Rede aktualisieren. Denn das Scheitern der EU-Politik ist so offensichtlich, daß es zum Himmel schreit. Nirgendwo ist dies deutlicher als im gebeutelten Griechenland, wo Tausende von Familien ihre Kinder abgeben müssen, weil sie sie nicht mehr ernähren können, wo ebenso wie in Irland die Selbstmordrate massiv angestiegen ist. Die Sparpolitik der EU, die 100 % den Interessen der Finanzoligarchie entspricht, ist kriminell und 100 % gegen die Interessen des Allgemeinwohls der Menschen gerichtet. Wenn Wulff den Mut dazu fände, könnte er den Spieß herumdrehen und der Dank aller Völker Europas und zukünftiger Generationen wäre ihm gewiß.

Es gibt nur einen einzigen Weg, wie die Kriegsgefahr abgewendet werden kann: die ihr zu Grunde liegende Dynamik des systemischen Finanzkollapses muß überwunden werden. Die einzige Weise, wie dies möglich ist, liegt in der Beendigung des Euro-Experimentes, das gescheitert ist. Nur die sofortige Rückkehr zur Souveränität über die eigene Währung - das heißt eine neue D-Mark - in Verbindung mit der umgehenden Einführung eines Trennbankensystems in der Tradition des Glass-Steagall-Gesetzes von Franklin D. Roosevelt kann das Problem lösen.

Bundespräsident Wulff hat noch die Chance, seine Präsidentschaft zu einer glänzenden in der Geschichte zu machen, falls er sich für diese Alternative starkmachen würde.

AKTUELLES ZUM THEMA

VIDEOS ZUM THEMA

EMPFEHLUNGEN

5. September 2013 •
23:58

Min

18. März 2017 •

Artikel von Zepp-LaRouche

28. November 2016 •

Artikel von Zepp-LaRouche