Der Umbau, der uns die Krise brachte
16. Februar 2011 •

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Auch wenn der grundlegende Umbau des deutschen Banken- und Kreditmarktes in den letzten Jahren nicht ohne die entsprechenden Schritte im internationalen Finanzsystem zu erklären ist und dazu noch sehr viel mehr zu sagen wäre, will ich vor dem Hintergrund des in den USA neu erschienenen Angelides-Berichtes versuchen, einen Überblick über diese Veränderungen zu geben, die in Deutschland dramatische Umstrukturierungen im Bankenwesen hervorriefen und uns die größte Finanzkrise seit Menschengedenken brachten1 - Veränderungen, die quasi eine Parallelwelt neben dem normalen Kredit- und Sparkassenwesen, der produktiven Industrie und dem Mittelstand erschufen, die den Deutschen bis dahin nur aus Filmen und der Londoner City bekannt war. Und das alles im Sinne der nachindustriellen Ideologie, deren Auswirkungen ich leider nur am Rande erwähnen kann, die aber heute sowieso für alle sichtbar sind.

In den USA, wo bis Ende 1999 durch das Glass-Steagall-Gesetz die normalen Geschäftsbanken strikt von den Investmentbanken getrennt waren und das Investmentbanking lange Zeit fast nicht mehr vorhanden war, wurde der Investmentbereich durch eine stetige Aufweichung der Gesetze wieder zu einer stetig wachsenden Schattenbankenwelt aufgebaut, die mehr und mehr den traditionellen öffentlichen Kredit verdrängte und dadurch die physische Wirtschaft in den USA immer weiter zerstörte.

Der Bereich oder Markt der Schattenbanken wuchs seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in immer größeren Schritten. Vorher war er nur eine sehr kleine, nicht wirklich zu beachtende „Kasinowelt", die keinerlei Einfluß auf die physische Wirtschaft zu haben schien. Aber besonders nach der Abschaffung der festen Wechselkurse und der Schaffung des Eurodollar-Marktes seit Beginn der siebziger Jahre wuchs der Schattenmarkt von 3 Mrd.$ 1977 über 740 Mrd.$ 1995 auf 1800 Mrd.$ im Jahr 2000 an, während die physische Wirtschaft in den USA immer mehr von der Bildfläche verschwand.

Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Nein? Das sollte es aber. Denn nicht mehr als 20 Jahre später sollte auch in Deutschland diese Schattenbankenwelt Einzug halten, und schon seit 1990, mit dem ersten Finanzmarktförderungsgesetz, wurde der deutsche „Markt" für ein Investmentbanking von der Art, wie es nur in der Londoner City aus imperialen Gründen immer bestanden hatte, aufgebrochen und neben dem bisherigen bekannten deutschen Sparkassen-, Hypotheken- und Kreditbankenwesen die schon erwähnte Parallelwelt der Spekulation aufgebaut.

Offenbar sagten sich einige Ideologen der nachindustriellen Welt, „wir wollen auch an diesen ,Neuen Märkten' teilhaben und etwas vom großen Kuchen abbekommen". Dienstleistungen wurden daher zum Credo dieser „Neuen Märkte" und man hielt es auf oberster Regierungsebene nicht mehr für nötig, die physische Industrie zu unterstützen. Daß wir dabei mehr und mehr einen ähnlichen Weg wie die USA gingen (und leider noch immer gehen), und unsere physische Wirtschaft nicht nur zahlenmäßig dezimiert wurde (und auch noch wird), daran ändert auch die Arroganz einiger deutscher Nach-Industrieller nichts, die immer wieder monoton behaupten: „Wir müssen doch wettbewerbsfähig bleiben, und die wissensintensive Industrie wird schon nicht ganz verschwinden."

Vielleicht war die Idee des ersten Finanzmarktförderungsgesetzes noch etwas anders als die der nachfolgenden Gesetzesänderungen, aber spätestens mit der Wiedervereinigung, die mit der europäischen Währungsunion erkauft wurde, trat an die Stelle der Idee des Europa der Vaterländer zunehmend die Idee eines europäischen Empire nach dem Vorbild der Londoner City und des Commonwealth.

Aber auch schon in diesem 1. Fördergesetz wurden EG-Richtlinien umgesetzt, die z.B. Investmentfonds von manchen Regulierungen befreiten und z.B. Options- und Finanztermingeschäfte möglich machten. Heute kann man ja durch sogenannte „Futures" die gesamte Ölförderung der nächsten 10 Jahre kaufen.

Alle Finanzmarktgesetze, die danach beschlossen wurden, waren dann schon direkt mit der Rahmengesetzgebung der Europäischen Währungsgemeinschaft verbunden, die im Februar 1992 mit dem Maastrichter Vertrag durch die Mitgliedsstaaten beschlossen wurde. Die Beeinflussung der Gesetze hin zu einem „freien Kapitalmarkt" - der eigentlich nichts anderes bedeutete als die Abschaffung der traditionellen Kreditfinanzierung - wurde z.B. durch spekulative Angriffe auf das EWS (Europäische Währungssystem) unterstützt, die die Wechselkurse so massiv schwanken ließen, daß es den Anschein hatte, man müsse schnellstmöglich zu einer Einheitswährung übergehen.

Im zweiten Finanzmarktförderungsgesetz vom 26.07.1994 wurden dann die Bereiche des ersten Gesetzes weiter ausgebaut und die Spekulation z.B. an der Warenterminbörse weiter dereguliert. Damit wurden unter anderem die Anlagemöglichkeiten für Investmentfonds massiv ausgeweitet und Geldmarktfonds zugelassen. Und doch waren diese Veränderungen bis dahin noch recht verhalten, gemessen an dem, was danach kam.

Mit den nächsten beiden Fördergesetzen - dem dritten vom 24.03. 1998 und dem vierten vom 21.06. 2002 - wurden dann zahlreiche Finanzmarktvorschriften und Gesetze abgeschafft, z.B. verschlechterten sich die Rechte der kleinen Anleger. Es wurden zwar immer mehr „Gesetze für mehr Transparenz" eingefordert und auch beschlossen, doch was helfen solche Gesetze, wenn man dadurch im Endeffekt nur genauer Bescheid weiß, daß man eigentlich betrogen wurde? Faktisch wurde das Prinzip des Gemeinwohls für die „freie Marktwirtschaft" aufgeopfert - d.h. einem mörderischen und durch Gesetze legalisierten Wettbewerb ausgeliefert.

Etwas näher betrachtet wurden mit dem dritten Gesetz u.a. die „Haftung für fehlerhafte Anlageberatung modernisiert", die Investmentgesellschaften an den Terminbörsen zugelassen und vorher verbotene Investmentfonds-Typen zugelassen - erklären muß man das eigentlich nicht, es reicht die Frage, warum waren sie vorher wohl verboten? Die Argumentation dafür war übrigens „das Kapitalangebot zu erhöhen", d.h. mehr Spekulation mit „Finanzprodukten" zuzulassen.

Das vierte und letzte Gesetz vor der Großoffensive mit der „Initiative Finanzstandort Deutschland"2, brachte dann die berühmt-berüchtigten Steuerentlastungsgesetze, die nicht nur eine willkürliche Kapitalumschichtung nach sich zogen, sondern auch die vorherigen, besonders hohen Steuern auf den Verkauf von Firmenbeteiligungen abschafften - die u.a. eine schnelle Kapitalflucht verhindern und Stabilität in die Finanzierung von Unternehmen hatten sichern sollen.

Das geschah im Namen der Agenda 2010, der „Neuen Mitte" und unter der Aufsicht des damaligen Staatsekretärs im Bundesministerium der Finanzen, Cajo Koch-Weser, der heute wahrscheinlich nicht zufällig Vizechef der Deutschen Bank ist und mit Josef Ackermann damals schon die „Initiative Finanzstandort Deutschland" anführte.

Durch diese Gesetzesinitiativen wurde die Finanzierung der physischen Wirtschaft so durcheinander gewirbelt, daß dann eine Krise nach der anderen folgte, die wiederum dazu dienten, weitere Änderungen zu rechtfertigen und durchzusetzen. Während die Finanzdienstleister bei jeder neuen Gesetzesinitiative „hurra!" schrien und der Spekulation Tür und Tor geöffnet wurde, mußten und müssen die Unternehmen, vor allem die der physischen Wirtschaft, bei den Banken um Finanzierung betteln oder, so weit möglich, an die „freien Kapitalmärkte" gehen. Dadurch sind sie vermehrt durch „feindliche" Übernahmen bedroht.

Erwähnenswert bei den Fördergesetzen ist u.a. auch, daß sie alle unter dem Zeichen der „Transparenz" und der Verbesserung der „Attraktivität und internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland" eingeführt und beschlossen wurden. Natürlich muß man dabei sehen, daß diese Eigenschaften nur für die Spekulation in der Parallelwelt galten, denn die physische Industrie fing immer mehr an, darunter zu leiden.

So setzten in Deutschland insgesamt also nicht mehr nur die offensichtlichen Probleme, etwa im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Zusammenbruch des Comecon und der steigenden Absatzkrise für deutsche Massenprodukte, der deutschen Industrie und dem Mittelstand immer heftiger zu, nein, sogar da, wo es noch etwas für die physische Wirtschaft zu investieren gab, fehlte mehr und mehr die traditionelle Kreditfinanzierung. Und das wirkt sich, wie wir heute sehen, nicht nur auf den deutschen Arbeitsmarkt aus, es ließ in der Folge auch das Steueraufkommen der Kommunen und Länder einbrechen und trieb die Kommunen zu sehr harschen Sparmaßnahmen. Und gespart wurde und wird vor allem bei den Investitionen - und in den sozialen Bereichen.


Anmerkungen

1. Siehe „Kurzstudie zur Regulierung der Finanzmärkte in Deutschland", Susanne Steinborn, Rosa-Luxemburg-Stiftung.

2. Siehe Die parallele Welt des „Finanzstandort Deutschland"





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