Die zivilisatorische Krise lösen – Eine neue Renaissance für die Menschheit
30. März 2015

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[Ich bin froh, daß ich Ihnen wenigstens auf diesem elektronischen Wege einige Grußworte nach Berlin schicken kann. Viele Menschen spüren, daß wir an einem absolut entscheidenden Punkt in der Geschichte angekommen sind. Wir haben eine akute Kriegsgefahr, die Ukraine ist in Deutschland sehr nah. Diese Krise kann zu einem regionalen Krieg und vielleicht auch zum Einsatz von Atomwaffen führen, im schlimmsten Fall zur Auslöschung der Menschheit.

Viele Menschen haben Sorge um unsere Währung, dieser früher sehr ungeliebte Euro, er kann auseinanderbrechen. Die Nullzinsen fressen unsere Sparguthaben auf. Was wird aus unserer Altersvorsorge? Was wird mit unseren Kindern? Was soll die Zukunft bringen?

Wir haben einen Werteverlust. Es gibt einen absoluten Mangel an Vertrauen in die Politik. Die Medien geraten immer mehr in Verruf, weil jeder spürt, daß sie mehr propagandistische Aktivitäten entfalten, als uns die Wahrheit zu berichten. Und wenn man sich auf unsere Populärkultur konzentriert: das ist ein absoluter, degenerierter Verfall – Gewaltverherrlichung, immer größere Exzesse an Perversion.

Wenn man das Gesamtbild der Gegenwart anschaut, dann müßte jedem denkenden Menschen klar werden: Wir befinden uns ganz tief in einer zivilisatorischen Krise; – nicht nur einer Krise des Finanzsystems oder der Kriegsgefahr, sondern man muß das Gesamtbild anschauen, um zu verstehen, daß wir am Ende einer Epoche angelangt sind. Und eine Lösung für die verschiedenen Probleme der Welt wird nicht möglich sein auf der Basis von heterogenen Nebenthemen, sondern wir brauchen ein vollkommen neues Paradigma, eine vollkommen neue Werteskala. Und die muß so verschieden von allen Ideen der Globalisierung und der gegenwärtigen Kultur sein, wie es der Unterschied war zwischen dem Mittelalter und der modernen Zeit.

Das Mittelalter war charakterisiert von Schwarzer Pest, von Hexenverbrennungen, Flagellanten, Aberglauben, Scholastik, Aristoteles. Und dann kam Nikolaus von Kues und hat mit seiner neuen wissenschaftlichen Denkmethode eine vollkommen neue Methode des Denkens entwickelt, die dann die Basis war nicht nur für den souveränen Nationalstaat, sondern auch für die moderne Naturwissenschaft und überhaupt den modernen Menschen.

Diese neue Axiomatik, dieses neue Paradigma ist bereits sichtbar, aber ob es verwirklicht wird, ob die Menschheit den Sprung schafft aus der jetzigen Krise heraus in eine neue Epoche der Menschheit, das wird vorwiegend davon abhängen, ob es viele mutige Menschen gibt, die bereit sind, diese neue Denkmethode zu entwickeln, und die vor allen Dingen bereits sind, die Mission anzunehmen, das Ihre beizutragen, um die Menschheit aus dieser Krise zu befreien.

Der vielleicht wichtigste Aspekt ist: Wir müssen uns von der Geopolitik verabschieden. Geopolitik, das ist die Idee, daß eine Nation oder eine Allianz von Nationen wie etwa die EU geopolitische Interessen hätte, die sie gegen die geopolitischen Interessen von anderen Nationen durchsetzen muß. Es war genau dieses Denken, was im 20. Jahrhundert schon zweimal zu einem Weltkrieg geführt hat, und es ist dieses Denken, was uns heute an den Rand des dritten Weltkrieges geführt hat.

Aber genauso gefährlich ist natürlich die Idee des Unipolarismus, d.h., daß es eine Weltmacht gibt, die alles kontrolliert, die souveränen Interessen aller Nationen eliminiert unter einer Weltdiktatur. Aber auch das vielgepriesene Modell des Multipolarismus ist zu verwerfen, weil immer die Gefahr besteht, daß sich dann doch geopolitische Interessen des einen Blocks gegen die Interessen des anderen Blocks durchsetzen.

Wir müssen den Sprung schaffen weg von der Geopolitik, hin zu der einen Menschheit, den gemeinsamen Interessen der Menschheit, und diese Interessen müssen von der Zukunft her bestimmt sein. Wie soll die Menschheit in hundert Jahren zusammenleben? Werden wir überhaupt eine Zukunft haben oder werden wir bei der Fortsetzung der gegenwärtigen Politik unsere eigene Auslöschung bewirken? Das ist nicht gelöst.

Drei wichtige Interventionen

Mein Ehemann, Lyndon LaRouche, hat vor etwa zwei Wochen ein ganz wichtiges Papier geschrieben, wo er die Interventionen von drei Personen kommentierte: zwei Deutschen, [Außenminister] Steinmeier und [Ex-Bundeskanzler] Helmut Schmidt, und Martin O’Malley, dem Präsidentschaftsanwärter in den USA.

Steinmeier trat in Washington vor der amerikanischen Denkfabrik CSIS auf und betonte dort die absolute Notwendigkeit, die Ukraine mit politischen Lösungen zu befrieden, und nicht etwa militärisch. Das Bemerkenswerte an dieser Intervention war, daß es in der Vergangenheit nicht alle Tage vorgekommen ist, daß deutsche Politiker in Washington auftreten und quasi sagen, wo es langgehen muß.

Damit einher ging die Warnung von Helmut Schmidt, der vor dem Dritten Weltkrieg warnte, und das Bemerkenswerte an seiner Intervention war, daß er die Schuld für die Ukraine-Krise nicht Rußland zusprach, sondern der EU und dem Westen, insbesondere der Entscheidung von Maastricht 1992 für die Ostausweitung der EU.

Was er nicht erwähnt hat, was natürlich in das Bild gehört, ist die gleichzeitige oder sogar schon vorherige Entscheidung der Neocons in den USA, die NATO in den Osten an die Grenzen Rußlands auszuweiten, was zurückgeht auf das Projekt für die „New American Century“-Doktrin, das war die Idee, daß nach dem Kollaps der Sowjetunion eine anglo-amerikanisch dominierte Weltordnung errichtet werden müßte.

Die hat vielleicht schon frühere Ursachen, das wurde kürzlich betont in einem Vortrag von George Friedman, dem Chef von Stratfor, einer amerikanischen Denkfabrik, in Chicago, wo er den Punkt machte, daß es seit 100 Jahren das fundamentale Interesse der USA sei, eine Zusammenarbeit Deutschlands und Rußlands zu verhindern, weil wenn das deutsche Wissen, das deutsche technische Know-how, zusammenkomme mit Rußlands Wissenschaft und großen Rohstoffvorkommen, daß dann ein Konkurrent für die USA entstehen würde, der ihnen den Platz im Weltmarkt streitig macht. Und deshalb sei es eben das geopolitische Ziel der USA gewesen, eine solche Zusammenarbeit zu verhindern.

Helmut Schmidt hat damit den Finger auf die Wunde gelegt – die wirklichen Gründe für die Ukraine-Krise –, und das stand in einem wohltuenden Widerspruch zu der Propaganda der Medien.

Der dritte wichtige Vorstoß kam vom demokratischen Präsidentschaftsanwärter O’Malley, der angekündigt hat, daß er sich nicht nur um das Amt des Präsidenten bewirbt, sondern dies auf der Basis des Kampfes gegen die Wall Street tun wird, und der Intention, als erste Amtshandlung im Weißen Haus sofort das Trennbankensystem in der Form von Glass-Steagall wieder einzuführen. Und diese Intervention von O’Malley hat die gesamte amerikanische Wahllandschaft verändert, denn er hat damit einen Maßstab für alle anderen Anwärter gesetzt und findet im Augenblick wachsende Unterstützung in der Bevölkerung.

Ein neuer Finanzkrach steht bevor

Aber diese Intervention ist nicht wichtig wegen 2016 oder 2017, sondern weil wir jetzt vor einem neuen Finanzkrach stehen, der, wenn er eintritt, den Crash oder den Fast-Crash von Lehman Brothers wie einen kleinen Schluckauf aussehen lassen wird.

In der britischen Zeitung Daily Telegraph gab es in den letzten Wochen eine ganze Reihe von Artikeln, die gewarnt haben vor dem drohenden Krach des Derivatmarktes – daß laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die ausstehenden Derivatkontrakte im Augenblick 690 Billionen [Dollar] sind. Unsere Schätzungen gehen dahin, daß es mindestens das Doppelte ist. 80% dieser Derivate, also 563 Billionen – oder das Doppelte – beziehen sich auf Zinsen, und wenn die Federal Reserve jetzt, wie ihre Vorsitzende Janet Yellen angekündigt hat, die Nullzinsen oder faktischen Nullzinsen nur ein kleines bißchen anhebt, dann wird ein Fünftel aller nominellen Werte der Banken weggewischt, und dann wird, wie wir wissen, eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die zu einer Kernschmelze des gesamten Systems führt.

Was machen die Banken in dieser Situation? Sie machen die Empfehlung, daß man auf die Derivate neue Derivate setzen soll, also gewissermaßen Wetten auf Wetten auf Wetten, damit eine „Versicherung“ da ist, aber das funktioniert natürlich nur so lange, wie diese Derivate nicht abgerufen werden. Und ein Artikel endet mit dem Satz: „Wird es Ihnen jetzt ungemütlich?“ Und in der Tat, das sollte es tun.

Aber diese Derivatblase ist nur ein potentieller Auslöser, der dieses System in Kürze zum Punkt des Platzens oder der Reorganisation bringen wird. Der andere ist natürlich der drohende Austritt Griechenlands aus dem Euro, was ebenfalls die Derivatblase in den USA und Europa detonieren würde – aber genauso die Möglichkeit, daß die Troika die Austeritätsbedingungen für Griechenland lockert, während der Vorsitzende der sogenannten „Fünf Weisen“ gerade veröffentlicht hat, daß eine Lockerung des Austeritätsregimes eine Signalwirkung hätte für Italien, für Spanien, für Portugal, für Frankreich, und genauso die Implikation hat, die Derivate zu detonieren.

Die Rolle der AIIB

Vor diesem Hintergrund der akuten Kriegsgefahr aus geopolitischen Gründen und der akuten Gefahr eines Finanzkrachs ist erklärlich, warum die neue chinesische Asiatische Infrastruktur Investitionsbank, die sogenannte AIIB, so ungeheuer große Attraktivität hat. Diese Bank wurde im Oktober letzten Jahres von 21 asiatischen Staaten gegründet, und bis Ende März, also noch einige Tage, können weitere Gründungsmitglieder dazukommen. Und nachdem Großbritannien entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen der USA als erstes europäisches Land Gründungsmitglied der AIIB geworden ist, sind ganz schnell gefolgt: Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweiz und gestern Österreich, aber auch Australien – eigentlich gehören die sehr zum amerikanischen Lager –, Südkorea, vielleicht auch noch Neuseeland, und Kanada überlegt es sich in diesen Tagen noch. Und das, obwohl die USA massiven Druck ausgeübt haben, daß genau das nicht geschehen soll.

Der Hintergrund war natürlich, daß schon beim APEC-Treffen in Beijing Präsident Xi Jinping Obama angeboten hat, daß die USA mitarbeiten sollen, denn die AIIB, genauso wie die Neue Seidenstraße, sei eben nicht eine exklusive, geopolitische Institution, sondern sie sei eine inklusive Angelegenheit, mit der Idee, daß alle teilnehmenden Staaten davon profitieren, also eine sogenannte „win-win“-Politik dahinter steht.

Sogar der ehemalige amerikanische Staatssekretär im Finanzministerium C. Fred Bergsten hat Amerika aufgefordert, der AIIB beizutreten. Aber wie die Vertreterin des State Department, Marie Harf, vor zwei Tagen betonte, besteht Amerika darauf: Wir wollen keine Kooperation mit der AIIB, sondern die AIIB muß mit der Weltbank kooperieren und die „Konditionalitäten“ der Weltbank respektieren. Was wären diese Bedingungen? Keine Staudämme zu bauen, weil dann „Menschenrechtsverletzungen“ dabei auftreten, weil zwei Fischer vielleicht umziehen müssen; keine Häfen; keine anderen großen Infrastrukturprojekte. Aber genau das ist ja der Grund, warum nicht nur die AIIB gegründet worden ist, sondern auch die New Development Bank der BRICS, die Shanghai Cooperation Organisation Bank, die Bank der SAARC-Staaten, also der südasiatischen Staaten, der New Development Fund, der Seidenstraßenfonds der Maritime Seidenstraßenfonds – viele Banken, die ausschließlich gegründet worden sind, um diese Infrastrukturprojekte zu finanzieren.

Es ist sogar so, daß jetzt China so selbstbewußt ist, daß sie es zurückweisen, wenn Amerika sagt, daß diese Bedingungen erfüllt werden müssen, und Xinhua schrieb, daß China nicht erlauben wird, daß dieses dringende Projekt der AIIB zu einer Figur auf dem geopolitischen Schachbrett wird, und wenn Amerika eine Kehrtwende machen will, dann soll es bitte eine ehrliche Wende sein und nicht ein machiavellistischer Trick, bei dem die AIIB nur zu einem weiteren Instrument auf ihrem geopolitischen Schachbrett degradiert wird.

Weil das Momentum jetzt wirklich für diese neue Weltwirtschafts- und Finanzordnung voranschreitet, ist es um so wichtiger, daß gerade auch Deutschland, Frankreich und Italien sich jetzt dort zuordnen. Denn in gewisser Weise ist diese neue Finanzarchitektur das Rettungsboot, was rechtzeitig auftaucht, wenn die Titanic der transatlantischen Finanzarchitektur am Sinken ist.

Wenn es gelingt, in Amerika Glass-Steagall auf die Tagesordnung zu setzen, zusammen mit einer Schuldenkonferenz nicht nur für die griechischen Schulden, sondern für die gesamten Schulden Europas, auch dann in Europa eine Bankentrennung vorzunehmen, und dann zu Kreditinstitutionen zurückzukehren, wie es die Kreditanstalt für Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg war – dann können Amerika und Europa gemeinsam mit den BRICS-Staaten an einer neuen Weltwirtschaftsordnung bauen.

Neues Denken

Aber das erfordert eben diesen Umbruch im Denken, diesen Sprung zu einer neuen Epoche, zu dem neuen Paradigma der einen Menschheit, den gemeinsamen Interessen der Menschheit vorzudringen, und dies muß von der ontologischen Ordnung des Universums, der Schöpfungsordnung her begriffen werden. Denn das war das Beispiel, das Nikolaus von Kues uns gezeigt hat beim Übergang des Mittelalters zur Neuzeit.

In der Apologia Doctae Ignorantiae beschreibt Nikolaus, wie er dem bestehenden Gedankengebäude der damaligen Zeit eine Absage erteilt hat und sich bewußt gegen den Deduktionismus der Scholastik und die Zweidimensionalität der Peripatetiker, also der Aristoteliker, gewandt hat. Er beschreibt dort in einer Anekdote, daß der Heilige Ambrosius der Litanei eine Anrufung hinzugefügt hätte, nämlich: „A dialecticis libera nos, Domine – vor den Spitzfindigen bewahre uns, Herr!“ Denn die geschwätzige Logik schade der Theologie mehr, als daß sie ihr nütze.

Nikolaus von Kues hat eine neue Denkmethode entwickelt, daß nämlich das Eine von einer höheren Mächtigkeit ist als das Viele, daß es für die menschliche Vernunft als kreative Kraft, als vis creativa, als imago viva dei, als lebendiges Abbild Gottes, möglich ist, eine höhere Ebene der Einheit zu denken, in der die Vielheit eingefaltet ist; und dieses Denken brachte ihn zu der Konzeption der Coincidentia oppositorum. Und diese Denkmethode der höheren Einheit hat er in vielen Bereichen seiner Philosophie angewendet, z.B. in De pace fidei – Über den Frieden im Glauben. Das ist eine wunderbare Schrift, die er verfaßte, nachdem Konstantinopel erobert worden war, und damals eine Art „Krieg der Zivilisationen“ Angst und Schrecken verbreitete, und er definierte in dieser Schrift die Notwendigkeit der Einheit der Religionen – daß es eine Religion gibt, eine Wahrheit und einen Gott, und daß alle Schwierigkeiten nur daher rühren, daß es unterschiedliche Traditionen, unterschiedliche Interpretationen und verschiede Lesarten der verschiedenen Propheten gibt; daß der Mensch aber zu dieser höheren Wahrheit, zu dieser höheren Religion vordringen kann.

Dasselbe Denken ermöglichte es ihm, ein Problem zu lösen, an dem alle Mathematiker vor ihm gescheitert waren, die Quadratur des Kreises, in der Erkenntnis, daß der Kreis von einer höheren Ordnung stammt als das Vieleck.

Dieses Denken war auch – das ist meine feste Überzeugung – die Basis für das Ende des 150jährigen Religionskrieges in Europa, den Westfälischen Frieden, der nämlich davon ausging, daß eine Konkordanz zwischen den Nationen nur existieren kann, wenn sich jeder Mikrokosmos entwickelt und das Interesse des anderen zu dem seinen macht.

Nikolaus beschreibt dieses Denken der Coincidentia oppositorum am meisten in seiner Schrift De visione Dei – Über die Sicht Gottes, in der er beschreibt, daß dieses Koinzidenzdenken nur hinter einer Mauer existiert, und daß im Grunde das, was uns diesseits der Mauer als absolute Unmöglichkeit begegnet, hinter der Mauer, wo Gott wohnt, zur absoluten Notwendigkeit wird. Das Verständnis dieser Denkmethode ist unverzichtbar für die Überwindung allen pragmatischen Denkens, in dem unsere Zeitgenossen im Augenblick so schrecklich verfangen sind: in Deutschland z.B. die Idee, daß etwas Neues überhaupt nicht möglich ist, daß wir unbedingt bei dem Kasinomodell der Universalbanken bleiben müssen, auch wenn die vor der absoluten Desintegration stehen, oder daß wir unbedingt an der völlig verrückten Energiewende festhalten müßten, obwohl es jedem klar sein müßte, daß die vollkommen gescheitert ist – von jedem Standpunkt. Und natürlich der Satz, der in Deutschland der meistausgesprochene Satz ist: „Man kann ja sowieso nichts ändern!“ Alle diese Denkideen stammen aus der Idee, daß man eben diesseits der Mauer der Koinzidenz verharrt, und natürlich sind die Widersprüche diesseits der Mauer nicht zu lösen.

Aber man kann bei Nikolaus sehr genau studieren, wie er sich um die ontologische Ordnung und das Verständnis davon bemüht, um die Seinsordnung des Universums, und von dorther den notwendigen nächsten Schritt der Evolution bestimmt. Man kann nachweisen, daß es einen inneren Zusammenhang gibt, den Leitgedanken der Docta ignorantia, die er immerhin geschrieben hat, als er enorme Anstrengungen unternahm, um die Lösung des Konfliktes zwischen dem Konzil und dem Papst zu finden, zwischen den verschiedenen Sekten in Europa. Und er hat eine unglaubliche Reisetätigkeit entfaltet in dieser Zeit, die ihn nach England, nach Österreich, nach Frankreich, in viele andere europäische Staaten, nach Konstantinopel geführt hat seit 1438, und er war Emissär für verschiedene Päpste. Und trotz all dieser Aktivitäten und enorm vielen politischen Interventionen in die Kirche, die Klöster, hat er diese fundamentale Schrift De docta ignorantia geschrieben und schuf damit den geistigen Rückhalt für seine Entscheidungen im praktischen Leben.

Daraus hat er den Gedanken entwickelt, daß es in der ontologischen Ordnung des Universums liegt, daß jeder Mensch seinen Platz hat und jedes Glied der Kirche und jede Nation eine sinnvolle Funktion hat, die jeder einbringen muß, damit die Einheit und die Konkordanz des ganzen möglich ist. Es ist hochinteressant, daß exakt dieselben Gedanken sich im Konfuzianismus finden, daß nämlich jeder Mensch und jede Nation den ihr angestammten Platz einnehmen muß und die bestmögliche Entwicklung vollziehen muß, damit Harmonie und Fortschritt des Gesamten möglich ist.

Und wir können heute von Nikolaus von Kues lernen, daß wir zunächst mit der fehlerhaften Axiomatik brechen müssen, die zu der existentiellen Krise der Gegenwart geführt hat, um dann etwas Neues zu denken, was noch nie vorher gedacht worden ist. Genau das hat nämlich Nikolaus über sein eigenes Werk geschrieben.

Und dann brauchen wir die leidenschaftliche Liebe zur Menschheit und zur Völkerverständigung, damit wir diese Krise überwinden können und die eine Idee der Menschheit von der Zukunft her bestimmen können.