Strahlung durch Kernkraftunfälle
29. März 2011 •

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Der folgende Vortrag wurde von Hubert Mohs, stellv. Landesvorsitzender der BüSo in Baden-Württemberg, bei einem Seminar der BüSo am 23.3.2011 in Stuttgart gehalten.

Die verheerenden Schäden an den japanischen Kernkraftwerken haben weltweit die Menschen aus Sorge vor nuklearer Verstrahlung aufgeschreckt. Kann denn bei solch furchtbarer Gefahr die Kernenergietechnik überhaupt noch verantwortet werden? Zwar hat das extreme Erdbeben vom 11.03.2011 den Kraftwerken nichts anheben können. Aber der nachfolgende schwere Tsunami hat die Kühlaggregate aller betroffenen Reaktoren zerstört. Die dadurch entstandene Überhitzung der abgeschalteten Reaktoren hat dann Wasserstoffexplosionen mit Gebäudezerstörung, teilweise Kernschmelze und Austritt von radioaktiven Stoffen ausgelöst. Jetzt ist die Sorge wegen Kontamination von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Trinkwasser groß.

Bei all dem schrecklichen Geschehen ist es wichtig, geeignete Maßstäbe für die Beurteilung anzulegen. Zuallererst gehört unser Mitgefühl den Vieltausenden von Todesopfern durch Tsunami und Erdbeben. Das ist das Gravierendste dieser Katastrophe. Danach kommen die verheerenden Schäden an der Infrastruktur der ganzen Region in dreistelliger Milliardenhöhe, die die Überlebenden jetzt ganz massiv zu spüren bekommen. Wie sind demgegenüber die aufgetretenen radioaktiven Belastungen zu bewerten? Sind sie eine reale Gefahr? Wie groß ist sie? Hier darf nichts verharmlost werden. Der Schutz vor Gesundheitsschäden der Menschen hat oberste Priorität.

Natürlich kommt im Zusammenhang mit der Katastrophe in Japan gleich auch die Katastrophe von Tschernobyl in Erinnerung und die Vorstellung von Hunderttausenden von Quadratkilometern Land, das für über 100 Jahre tödlich verseucht und unbewohnbar ist. So ist es uns seit 25 Jahren immer wieder massiv eingebläut worden, und die damalige Sowjetunion hat entsprechend große Gebiete um Tschernobyl zu Sperrzonen erklärt aufgrund von Empfehlungen von Strahlenschutzbehörden wie der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA.

War das angemessen? Hierzu ist ein Artikel 1 von Dr. Zbigniew Jaworowski 2 sehr aufschlussreich: In Weißrussland dürfen in der Tschernobyl-Sperrzone seit dem vergangenen Sommer (also nach 24 Jahren) die ehemaligen Einwohner wieder in ihre verlassenen Häuser zurückkehren. Die weißrussische Regierung stützt sich dabei auf wissenschaftlich begründete Empfehlungen in dem Bericht von vier UN-Organisationen aus dem Jahr 2002: UN-Entwicklungsprogramm UNDP, UN-Kinderhilfswerk UNICEF, Weltgesundheitsorganisation WHO und Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten UNOCHA. Dort wird in drastischen Worten beschrieben, dass die enormen Anstrengungen und Milliarden Dollar Ausgaben zur Bewältigung der Folgen des Reaktorunglücks keine positiven Ergebnisse brachten, sondern vielmehr die Lage der 7 Millionen offiziellen „Tschernobyl-Opfer" weit verschlechterten. Waren das damals also sinnlose Umsiedlungen?

Viele werden solche Aussagen für äußerst starken Tobak halten. Ist so etwas seriös? Wie sind die Verhältnisse real? - Damals wurden als „kontaminierte Gebiete" kurzerhand alle Gebiete im Umkreis definiert, in denen der Fallout an radioaktivem Cäsium-137 über 1 Ci/km² lag. In Einheiten des Internationalen Maßsystems sind das 37 kBq/m². Der Fallout von Tschernobyl erreichte aber auch zehn andere Länder von Finnland über die Schweiz bis zur Türkei, wo mehr als 185 kBq/m² durch Cäsium-137 gemessen wurden. In diesen Ländern wurde jedoch niemand umgesiedelt.

Betrachten wir hier einmal, was bei massivem Austritt von radioaktivem Material aus einem havarierten Atomreaktor geschieht. Über das Land verteilt sich radioaktiver Staub, der in der Hauptsache die Stoffe Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137 enthält. Jod-131 strahlt sehr stark und ist entsprechend gefährlich. Wegen der Halbwertszeit von 8 Tagen ist die Strahlung aber nach einigen Wochen abgeklungen. Cäsium-137 strahlt schwächer. Wegen seiner Halbwertszeit von 30 Jahren strahlt es aber auch noch nach 100 Jahren. Deshalb ist dieses Isotop für die Zeit danach das Bedeutendste. Wie gefährlich ist aber diese Strahlenbelastung? Was können wir uns darunter vorstellen? Eine Konzentration von 37 kBq/m² bei Cäsium-137 entspricht einer Strahlendosis 1,6 mSv/Jahr. Das ist etwa die Hälfte der Strahlenbelastung durch natürliche Radioaktivität hierzulande. Ist das irgendwie besorgniserregend? Der gewöhnliche Erdboden enthält etwa 50 natürliche Radioisotope, die viel gefährlicher sind als Cäsium-137. Ihre Gesamtaktivität in den obersten 10 cm der Erdschicht beträgt 400 kBq/m² 3, also mehr als das Zehnfache der „Umsiedlungsgrenze" der Sowjetunion. Die natürliche Radioaktivität ist aber nicht überall gleich. Im Kurort Menzenschwand im Schwarzwald ist die Strahlenbelastung 60-fach so hoch wie z. B. in Frankfurt, und an der Atlantikküste Brasiliens wurden sogar 290-fach höhere Werte als in Frankfurt gemessen. Die Menschen sind dort aber nicht etwa kränker. Im Gegenteil: Seit langem ist bekannt, dass es in Gegenden mit ungewöhnlich hoher Radioaktivität zu auffallend weniger Krebserkrankungen kommt. Wie ist das zu erklären? Unsere Körperzellen haben einen äußerst wirksamen Reparaturmechanismus bei Strahlenschäden. Solange die Schädigungsrate ausreichend geringer ist als die Reparaturrate, können wir mit der Belastung durch ionisierende Strahlung gut leben. Die Aussage, niedrigdosierte radioaktive Strahlung sei unerforscht und auf lange Sicht möglicherweise hoch gefährlich, ist erwiesenermaßen unwahr. Genauso gilt, dass eine 100-fach höhere Strahlenbelastung als in Frankfurt völlig ungefährlich für die Menschen ist. Diese Aussagen sind auch von interessierten Laien leicht nachprüfbar.

Und wie steht es mit den „Tausenden von Krebstoten" als Folge der Tschernobyl-Katastrophe, von denen uns ständig berichtet wurde? Bei den Einwohnern der „kontaminierten Gebiete" war kein vermehrtes Vorkommen von Krebs oder Erbkrankheiten festzustellen. 4 Im Gegenteil, die Gesundheit der Bevölkerung ist besser als in Ländern mit einer niedrigen natürlichen Strahlenbelastung. 5 Sicher gab und gibt es in den „kontaminierten Gebieten" auch Krebskranke, aber in Ländern wie den USA ist die Krebsrate der Bevölkerung weit höher.

Dass in der unmittelbaren Umgebung eines havarierten Reaktors, der tonnenweise radioaktives Material ausstößt, die Strahlenbelastung tödlich ist, haben die beim Reaktorunglück Tschernobyl umgekommenen Arbeiter deutlich gezeigt. Deshalb war die Evakuierung der 3 km entfernten Stadt Prypjat natürlich eine notwendige Maßnahme. Aber nachdem sich die Strahlendosis rasch um etliche Größenordnungen verringerte, war es irrational, die Menschen nicht mehr nach Prypjat zurückzulassen - heute ist die Strahlenbelastung in der Stadt nicht höher als in Warschau. Erst recht war es ungerechtfertigt, 140.000 km² Landfläche um Tschernobyl jahrzehntelang zu sperren. Schon vor zehn Jahren hatte der Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR) deutlich gemacht, dass diese Maßnahmen übertrieben waren. 6 Es bestanden dort keine messbaren Gesundheitsgefahren. Wenn das sogar bei dem schweren Unglück von Tschernobyl zutrifft, dann sehen wir ganz deutlich, dass das bisher weithin propagierte Gefahrenpotenzial der Kernenergie in Wirklichkeit um ein Vielfaches geringer ist.

Mit diesen Aussagen soll in keiner Weise das herausragende humanitäre Engagement z. B. der „Freunde der Kinder von Tschernobyl im Ev. Männerwerk Württemberg e. V." geschmälert werden. Die Kinder dort waren und sind auf die Hilfe aus Deutschland dringend angewiesen. Aber ihre Not wäre ohne den Kraftwerksunfall nicht kleiner. Es gibt verschiedene Gebiete auf der Erde mit wesentlich höherer Strahlenbelastung, wo die Menschen nicht kränker sind als in Gebieten ohne Kernkraftwerk.

Wenn wir das verantwortlich reflektieren, müssen alle ehrlichen Menschen umdenken, die bisher unter dem anfangs erwähnten Eindruck einer jahrhundertelang verseuchten Umgebung von Tschernobyl standen. Natürlich müssen die Menschen vor konzentrierter tödlicher Strahlenbelastung wirksam und sicher geschützt werden. Aber die maßlose Angstmache, die seit den 1970-er Jahren von interessierten Kreisen betrieben wird, kann nur als kriminell bezeichnet werden. Solche Leute sind alles andere als Menschenfreunde. Allerdings bleibt zu fragen: Wenn es Aufgabe der Massenmedien ist, die Bevölkerung über unbestritten wichtige Tatsachen zu unterrichten, warum unterdrücken sie solche derart lebensnotwendige Meldungen?

Was wir zu Tschernobyl gesehen haben, gilt natürlich für Fukushima in Japan noch in viel stärkerem Maße. Die Strahlenbelastung dort ist außerhalb des Kraftwerks absolut ungefährlich. Eine weitere Verschlimmerung der Lage ist derzeit unwahrscheinlich. Auch wenn mehrere Reaktorkerne schwer beschädigt wurden und in und über dem Kraftwerk zeitweise stark erhöhte radioaktive Werte gemessen wurden, haben die Schutzhüllen bisher gehalten und ihren radioaktiven Inhalt bewahrt. Und mit der Wiederherstellung der Stromversorgung des Kraftwerks ist Grund zur Hoffnung, dass die Kühlung der Brennelemente wieder voll gesichert und eine weitere Gefährdung der Bevölkerung verhindert werden kann.

Damit kommen wir wieder zu der eingangs gestellten Frage zurück nach der Verantwortbarkeit der Kernenergietechnik. Die wird ja unter dem Schock von Fukushima vor allem in Deutschland ganz massiv gestellt. So massiv, dass die Bundesregierung ohne Zögern ein sofortiges dreimonatiges Moratorium für sieben deutsche Kraftwerksreaktoren erlassen hat und eine Ethikkommission für die Zukunft der deutschen Kernenergie einberuft. In den letzten 40 Jahren wurde die Bevölkerung mit der Aussage indoktriniert, dass wir gut ohne Kernenergie leben könnten, weil die erneuerbaren Energieformen bestens als Ersatz dienen. Wir müssten nur etwas „sparsamer" mit Energie umgehen. Aber: Bei der in der Industrie benötigten Prozesswärme kann aus physikalischen Gründen nichts eingespart werden, es sei denn die Produktion an sich. Da neuerdings auch Kohlekraftwerke in ähnlicher Weise verteufelt werden, stünde Deutschland vor der Aufgabe, 80 % seines bisherigen Energieaufwands aus erneuerbaren Quellen zu speisen, also die modernsten, konkurrenzlos preiswerten Quellen mit vielmillionenfach höherer Energieflussdichte abzuschaffen und sie durch die unrentabelsten Techniken zu ersetzen. Jeder, der nur einen Funken von Verständnis für Energiepolitik und Volkswirtschaft hat, sieht sofort, dass das das Ende des Industriestandorts Deutschland bedeuten würde. Nicht nur die dadurch bedingten massiven Preissteigerungen, sondern auch ein ganz klar vorhersehbarer Energiemangel würde die Industrieproduktion weit gehend abwürgen. Das hätte entsprechende Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Da dann auch die Sozialsysteme kollabieren müssten, würde der größte Teil der Bevölkerung in Deutschland auf ein elendes Armutsniveau absinken. Viele Millionen Deutsche könnten das nicht überleben.

Das ist ein Szenario, das die jubelnden Anti-AKW-Demonstranten mit ihren frenetischen „Abschalten"-Rufen völlig verdrängen. In maßloser Kurzsichtigkeit sind sie bereit, alles mutwillig zu zerstören, was viele Generationen vor uns aufgebaut haben. Warum? Warum? Weil sie sich willig den geforderten Denkverboten beugen. Das ist das buchstäbliche Absägen des Astes, auf dem sie sitzen. Dabei hätte Deutschland die große Aufgabe, mit seinem großen Potenzial an wissenschaftlicher Forschung, Maschinenbau, Wirtschaftskraft und gut ausgebildeten Fachkräften anderen Menschen auf dieser Erde zu helfen, ihre Länder menschenwürdig aufzubauen. Deutschland hätte die Aufgabe, an vorderster Front mit Kernenergie unter anderem durch Meerwasserentsalzung Wüsten zu begrünen, wissenschaftliche Verfahren zur dringend notwendigen Isotopenwirtschaft (Herstellung völlig neuer Rohstoffe im Großmaßstab) und zum vollständigen Abfallrecycling zu entwickeln und auch damit die Lebensgrundlagen künftiger Generationen weltweit zu schaffen.

Das Ziel der Anführer der Anti-Atomkraft-Aktionen ist die Zerstörung der lebenswichtigen Idustriegrundlagen unseres Landes. Das ist um ein Vielfaches destruktiver als ein atomarer Super-GAU, der als zu minimierendes Restrisiko beim weiteren Betrieb der Kernkraftwerke verbleibt. Das wichtigste Problem ist nicht die radioaktive Gefahr der Kernenergie, sondern allgemein die Vernachlässigung der Vorsorge gegen Katastrophen und Unterversorgung der Bevölkerung. Wir haben weltweit viel zu wenig lebensnotwendige Infrastruktur. Das müssen wir unseren Mitmenschen dringend vermitteln.

Quellen:

1    siehe http://www.solidaritaet.com/neuesol/2010/33/tschernobyl.htm .

2    Dr. Zbigniew Jaworowski ist seit 1973 Mitglied im Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR) und war 1980-1982 dessen Vorsitzender.

3    Z. Jaworowski, 1999. „Radiation Risk and Ethics", in Physics Today, Vol. 52, S. 24-29.

4    UNSCEAR, 2000. Sources and Effects of Ionizing Radiation, United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation UNSCEAR 2000, Report to the General Assembly. Annex J: Exposures and Effects of the Chernobyl Accident, S. 451-566.

5    Z. Jaworowski, 2002. „Ionizing Radiation in the 20th Century and Beyond", in Atomwirtschaft-Atomtechnik, Vol. 47, S. 22-27.

6    UNSCEAR, 2008. Health Effects Due to Radiation form the Chernobyl Accident, Draft Report A/AC.82/R.673, 220 S., United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation.