Zwischen Alptraum und Friedhof: Europa ein Schiff von Narren!
27. Oktober 2013 •

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Von Helga Zepp-LaRouche

Wenn die Konsequenzen für viele Menschen nicht so bitter wären, könnte man denken, daß der transatlantische Raum - das Europa der EU und die USA - ein Schiff voller Narren mit Kurs nach Narragonien ist, und die offizielle Politik auf beiden Seiten des Atlantik eine Neuauflage dieser spätmittelalterlichen Moralsatire. Für Bundeskanzlerin Merkel ist die Handy-Affäre in vieler Hinsicht mehr als blamabel, wirft sie doch ein Schlaglicht darauf, wie ernst sie es mit ihrem Amtseid meint. Für Präsident Obama erweist sich die Rückwirkung von Obamacare erwartungsgemäß als potentieller Sargnagel. Wenn JP Morgan wegen betrügerischer Geschäfte nach Abzug von Steuererleichterungen „nur“ noch 6 Mrd.$ Strafe zahlen muß, Jamie Dimon, der Vorstandsvorsitzende dieser Bank, aber - bisher jedenfalls noch - straffrei bleibt und auf den Finanzmärkten wieder „irrationalster Überschwang“ herrscht, als hätte es den Crash von 2008 nie gegeben, dann muß man zu dem Schluß kommen: Dies alles sind nur Symptome eines untergehenden, dekadenten Systems.

Nur gut zwei Monate nachdem der unglückliche Kanzleramtsminister Pofalla meinte, der Vorwurf vermeintlich millionenfacher Totalausspähung sei vom Tisch, stellt sich heraus, daß die NSA nicht nur alle Kommunikationen in Europa und den USA ausspioniert, sondern auch noch - wie unerhört - das Handy der Kanzlerin. Und erst jetzt empört sich Frau Merkel über diese diplomatische Ohrfeige - aber nur in kleinen Schritten, versteht sich. Daß die Grundrechte von Millionen von Bürgern mit Füßen getreten wurden, war ihr offensichtlich egal. Und der britische Guardian notierte zurecht: Was braucht man noch Feinde bei solchen Freunden!

Aber die arrogante Maßlosigkeit, mit der die amerikanischen Geheimdienste alles zur Totalausspähung der Welt ausnutzen, was technisch möglich ist, völlig ungeachtet allen Völkerrechts und internationaler zivilisatorischer Umgangsformen, ist ihrerseits keineswegs ein Zeichen der Stärke. Denn soeben sind die USA gerade so an der Staatspleite vorbeigeschlittert - für ein paar Wochen vielleicht. International erweist sich das Globalisierungs-Imperium als längst überdehnte Machtstruktur, deren dubiose Allianzen vor allem in Südwestasien die Zahl ihrer Feinde täglich vervielfacht. Im Inland wachsen Wut und Enttäuschung in der amerikanischen Bevölkerung über Obama, der jetzt allgemein als Mogelpackung erkannt worden ist, der all das nur noch schlimmer weiterführt, wofür schon George W. Bush gehaßt wurde.

Nachdem Obama selbst zweimal vor die Kameras trat und massive Kürzungen bei den Sozialversicherungen und der Gesundheitsversorgung für alte und bedürftige Leute ankündigte, und Obamacare das Gegenteil von dem tut, was leichtgläubige Konsumenten der deutschen Medien immer noch glauben - nämlich viele Millionen Menschen aus bisherigen Gesundheitsversicherungen herauszuwerfen und die Versorgung für ganze Kategorien von Alten und Kranken massiv zu kürzen oder gar zu streichen -, wächst die Stimmung in der Bevölkerung für die Amtsenthebung Obamas. Aber auch institutionelle Kräfte sehen in Obamas Bereitschaft zur Politik am Rande des Abgrunds, wie sie sich zuletzt bei dem drohenden Militärschlag gegen Syrien gezeigt hatte und wie sie prinzipiell der Politik gegenüber Rußland und China zugrunde liegt, eine untragbare Gefährdung. Die Tatsache, daß auch alle Kommunikationen von Amerikanern überwacht und gespeichert werden, hat zu einer ganz neuen Protestbewegung und wachsender Sympathie mit Edward Snowden geführt.

Daß JP Morgan Chase zunächst 13 Milliarden, nach Abzug steuerlicher Erleichterungen nun aber nur noch 6,1 Milliarden Strafe zahlen soll, und die Schuldigen nicht strafrechtlich verfolgt werden, sondern dieses Geld schon in die Geschäftsausgaben „eingepreist“ haben, erregt die Gemüter ebenfalls gewaltig. Und daß dieselben Vorstandsvorsitzenden der „TBTF“-Banken der Wall-Street („too big to fail“, weil sie angeblich zu groß sind, um sie pleite gehen zu lassen) Obama diktieren, welche Politik er zur Verhinderung des Glass-Steagall-Trennbankensystems verfolgen muß, und gleichzeitig die Kürzungen im sozialen und Gesundheitsbereich verlangen, wird in den USA nicht so untertänig akzeptiert, wie das EU-Diktat in Deutschland. In den USA entwickelt sich eine revolutionäre Mischung von Verzweiflung, Wut und Patriotismus, die in Europa bislang völlig übersehen wird.

In Deutschland sind Wut und Abneigung der Bevölkerung unterdrückt und nach innen gekehrt, deshalb erscheinen sie als Depression und als Ohnmachtsgefühl: „Man kann ja sowieso nichts machen“. Aber die Grundfesten der Gesellschaft, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung oder andere führende Institutionen, erodiert hier wie dort.

Die Casino-Wirtschaft boomt wie nie zuvor, als hätte es 2008 nie gegeben, der DAX steht auf der Rekordmarke von über 9000 Punkten, die Spekulation mit exotischen Finanzprodukten ist überschwenglicher denn je. Aber im krassesten Gegensatz zu den Phantasien über einen angeblichen Aufschwung in der Eurozone oder den USA kann das globale Finanzsystem genauso augenblicklich evaporieren wie die Eurokrise mit Wucht zurückkommen kann.

Wie tönern die Füße des Kolosses sind, wird nirgendwo deutlicher als in dem geheimen Brief von EZB-Chef Draghi an EU-Kommissar Almunia von Ende Juli, der erst jetzt bekannt wurde. Darin rät er dringend dazu, die Pläne über das sogenannte Bail-in, das Zypernmodell für ganz Europa, noch so lange unter Verschluß zu halten, bis die Bankenunion in Europa vollendet ist, weil sonst ein Run auf die Banken drohe.

Sind die Regierungen Europas und der USA lernunfähig? Nichts wesentliches hat sich seit 2008 geändert. Damals gab es einen kurzen Schockmoment, daß die Kernschmelze des Finanzsystems unmittelbar bevorstand. Für einen kurzen Augenblick sprach sogar Sarkozy von der Notwendigkeit eines Neuen Bretton-Woods-Systems. Aber sofort diktierten die Wall-Street-Banken, was in ihrem Interesse lag: ein Rettungspaket nach dem anderen auf Steuerzahlerkosten, als Folge davon eine wachsende Staatsverschuldung, sowie das „quantitative easing“ genannte pausenlose Gelddrucken, das sich jetzt bereits in erheblicher Inflation bei Mieten, Energie, Nahrungsmittel und Benzin bemerkbar macht und bald zur Hyperinflation zu werden droht. Das Zypern-Modell, also die Enteignung der Konteninhaber, ist schon vorbereitet, mit der erwähnten Einschränkung, daß die Diskussion darüber einen Run auf die Banken auslösen könnte. Die Bail-in-Richtlinie der EU-Kommission wurde von der International Swaps and Derivative Association (ISDA) geschrieben - also den TBTF-Banken selbst. Auch das Gesetz für Obamacare entstand in den Kanzleien der Wall Street. Die Regierungen sind zu Handlangern der Banken verkommen, die Spekulanten profitieren, und die Bevölkerung soll für die Kosten aufkommen und es mit radikalen Einschnitten an ihrem Lebensstandard und ihrer Lebenserwartung bezahlen.

In Frankreich sind jetzt drei Bücher erschienen, die einen „Plan B“ für den Ausstieg aus dem Euro diskutieren, und die interessanterweise nicht von Eurokritikern geschrieben wurden, sondern von Autoren, die aus der Mitte des französischen Establishments stammen. François Salais mit seinem Buch „Die Vergewaltigung Europas“, Steve Ohana mit „Ungehorsam zur Rettung Europas“ und François Heisbourgs „Das Ende des europäischen Traums“ konstatieren alle drei das totale Scheitern des Euro-Experiments und die existentielle Notwendigkeit eines Ausstiegs Frankreichs aus dem Euro. Das französische Establishment arbeitet offensichtlich auf Hochtouren an einem Plan B.

Professor Heisbourg zieht die Parallele zum Krieg - die europäischen Führer stünden vor derselben Wahl wie ein General, der im Gefecht überwältigt worden ist. Soll man weiterkämpfen bis zum Punkt der Auslöschung, oder soll man aus der Einkreisung ausbrechen und wenigstens den Rumpf der Armee für die Zeit danach retten, die Schlacht verloren geben, aber nicht den Krieg? Heisbourgs Lösung ist ein deutsch-französicher Ausstieg aus dem Euro als Fait accompli; er spricht allerdings nur über die möglichen Modalitäten eines Ausstiegs und verbleibt in der monetaristischen Axiomatik. Und hier sind wir bei der Malaise, an der das gesamte transatlantische Schiff der Narren leidet: die gesamte Diskussion wird nur auf der monetaristischen Ebene geführt.

In totalem Gegensatz dazu verstärken die asiatischen Nationen, allen voran Rußland, China, Indien, Japan und Südkorea, ihre diplomatischen Beziehungen mit dem klaren Fokus auf dem Ausbau physischer Projekte der Realwirtschaft: gemeinsame Anstrengungen beim Ausbau der neuen Seidenstraße, eine Vielzahl von Infrastrukturprojekten in ganz Asien und Beschleunigung der Entwicklung der dritten und vierten Generation der Kernspaltung sowie der Forschung an der Kernfusion. Das wurde bei den jüngsten Staatsbesuchen des indischen Premierminister Manmohan Singh in Moskau und dem Besuch von Premierminister Medwedjew und des Akademiemitgliedes Welikow in China deutlich.

Der Unterschied ist offensichtlich: Die asiatischen Staaten sind dabei, die physischen Grundlagen für zukünftige Generationen zu schaffen, während der transatlantische Raum unter dem Diktat der Banken dabei ist, zum Friedhof aller Träume zu werden.

Es gibt einen Ausweg: Das Trennbankensystem in der exakten Tradition von Roosevelts Glass-Steagall-Gesetz, das die Kasino-Wirtschaft ein für alle mal beenden muß. Dann müssen die zur Souveränität zurückgekehrten europäischen Staaten in langfristige Kooperationsverträge mit den asiatischen Staaten zum Ausbau der eurasischen Landbrücke und der Weltlandbrücke eintreten und mit einem sich auf seine Verfassung zurückbesinnenden Amerika zusammenarbeiten in einem Crashprogramm für die Entwicklung der Kernfusion und der Weltraumforschung, die für die Abwehr von Gefahren aus dem Weltraum unerläßlich ist.

Das ist seit dem Fall der Mauer 1989 das Programm der BüSo und des Schiller-Instituts, und es hat eine Weile gedauert, bis sich diese Ideen in Asien durchgesetzt haben. Aber jetzt ist ihre Zeit gekommen. Bleibt nur die Frage, ob die USA und die europäischen Nationen sich für den Friedhof entscheiden, oder für eine hoffnungsvolle Zukunft. Bei der BüSo sind Sie auf der richtigen Seite.





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