Afghanistan: den Krieg gegen das internationale Drogenkartell gewinnen!
2. Juli 2009 • 10:56 Uhr

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Nach dem erneuten tragischen Tod blutjunger deutscher Soldaten in Afghanistan, den Diskussionen über das weitere Vorgehen der Bundeswehr, sowie die von der Bundesregierung befürchteteten Verschlechterung der innerdeutschen Sicherheitslage, ist es höchste Zeit, sich endlich der Realität zu stellen: Weder das britische Empire noch die Sowjetunion haben jemals einen Krieg in Afghanistan gewonnen. Die Idee, dort militärische Siege zu erringen, wie dies jetzt offenbar die USA mit ihrer Großoffensive vorhaben, ist aberwitzig und auch Deutschland sollte sich keinen Zentimeter mehr in diese Richtung bewegen. Auch in den Institutionen der USA gibt es in dieser Frage sehr heftige Auseinandersetzungen.

Der einzige Krieg, den man dort gewinnen kann, ist der Krieg gegen die Drogen, und zwar gegen diejenigen, die das Opium aus Afghanistan herausschmuggeln, nicht gegen die Bauern. Die Bauern müssen eine Kompensation erhalten, und andere landwirtschaftliche Produkte herstellen können, bei Preisen, die ihnen ein gutes Auskommen sichert. Nur wenn dieser Handel und die damit verbundenen internationalen Finanzströme unterbunden werden, besteht überhaupt eine Chance, Afghanistan jemals zu befrieden und der Bevölkerung eine Perspektive zu geben.

Hier sei deshalb an die frühzeitigen Warnungen der BüSo-Bundesvorsitzenden Helga Zepp-LaRouche aus den Jahren 2008 und 2005 erinnert:

 "Die Bundeswehr muß sofort aus Afghanistan abgezogen werden!"

(Februar 2008) -- Es ist absolut richtig, daß Verteidigungsminister Jung und die Große Koalition die Forderung von US-Verteidigungsminister Gates, die Bundeswehr solle Kampftruppen in den Süden Afghanistans entsenden, eindeutig abgelehnt haben. Tatsache ist, daß der Krieg in Afghanistan unter den gegenwärtigen Umständen verloren ist. Der Versuch, jetzt Deutschland, Frankreich und andere europäische Staaten weiter in den afghanischen Treibsand hineinzuziehen, ist nichts weiter als der durchsichtige Versuch, von den eskalierenden Problemen der Bush-Administration abzulenken und die politische Integrität Europas zu zerstören, indem Europa gezwungen werden soll, für die Niederlage in Afghanistan ebenfalls die Verantwortung zu übernehmen.

Es steht weit mehr auf dem Spiel als Afghanistan: Die Welt ist dabei, in die größte Finanzkrise aller Zeiten zu stürzen. Wenn jetzt die Große Koalition in Berlin über der Frage des erweiterten Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr zerbrechen oder sogar die Nato über dieser Frage in eine unkontrollierte Krise stürzen würde, wäre mehr verloren, als die „Sicherheit Deutschlands am Hindukusch", nämlich ein potentieller Partner bei der Lösung des Systemkrachs.

Der ganze Afghanistan-Einsatz war von Anfang an, wie der Irak-Krieg, eine auf falschen Prämissen aufgebaute Operation. Nach nunmehr sieben Jahren der Operation „Enduring Freedom" ist der Einfluß der Taliban und der Drogenbarone ungebrochen. Wenn es der Sowjetunion in zehn Jahren mit dem Einsatz von hunderttausend Truppen nicht gelungen ist, den Krieg in Afghanistan zu gewinnen, dann soll man nicht so tun, als wäre der Einsatz von ein paar tausend Bundeswehrkampftruppen im Süden Afghanistans mehr als der Einsatz von Kanonenfutter in einem verlorenen Krieg.

Das heißt nicht, daß die Völkergemeinschaft die Aufgabe aufgeben soll, Afghanistan wirtschaftlich wiederaufzubauen und den für die ganze Welt verheerenden Anbau von Opium durch wirkliche landwirtschaftliche und industrielle Produktion zu ersetzen. Aber dies wird nur gelingen, wenn die Parameter völlig geändert werden, die Politik des „Great Game" in der Region aufgegeben und gemeinsam mit Rußland, China, Indien und den anderen Nachbarn Afghanistans eine wirkliche Entwicklungsperspektive auf die Tagesordnung gesetzt wird."

 

Im Sommer 2005 hatte Frau Zepp-LaRouche, damals als Kanzlerkandidatin der BüSo, in einer Erklärung dazu aufgerufen, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen und gezeigt, wie sich Deutschland damals bereits in einem geopolitischen Netz verfangen hatte. Sie stellte dies in den Zusammenhang der Kriegspläne des US-Vizepräsidenten Cheney, den Iran mit konventionellen und taktisch-nuklearen Waffen anzugreifen.*  In ihrer Erklärung hieß es:

... "Die dramatische Zuspitzung der Krise um den Iran erfordert dringend eine Neubewertung des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Eine nüchterne Analyse der ursprünglichen Zielsetzungen dieser Stationierung ergibt eindeutig, daß die Lage in Afghanistan vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Es kann jeden Moment zu einer Katastrophe kommen, z.B. einem größeren Angriff oder Anschlag auf die in Afghanistan stationierten Bundeswehrtruppen oder dort operierende Hilfsorganisationen.

Nicht nur angesichts der offensichtlichen Fragwürdigkeit der Begründung, die zu der Anforderung deutscher Truppen gemäß Artikel 5 der NATO-Charta geführt hat, muß der deutsche Truppeneinsatz in Afghanistan neu überprüft werden. Tatsache ist auch, daß der ursprünglich geplante wirtschaftliche Wiederaufbau Afghanistans nicht stattgefunden hat. Mit dem Ausbleiben nötiger wirtschaftlicher Entwicklung hat der Drogenanbau stattdessen Rekordausmaße erreicht. Afghanistan ist zu 80 Prozent in der Hand mächtiger Kriegsherren, die den Drogenanbau und -handel kontrollieren. Die Verbitterung der Bevölkerung wächst, und sie könnte sich nun auch gegen die Bundeswehr richten, die bislang noch nicht als Besatzungstruppe empfunden wurde. Da die USA, anstatt das Land mit wirtschaftlicher Entwicklung auf ihre Seite zu ziehen, jetzt militärisch gegen die Drogenbarone vorgehen, ist die Lunte zu einer größeren Explosion in Afghanistan bereits angezündet.

Welchen Sinn hat eine Stationierung in Afghanistan, bei der die Bundeswehr hauptsächlich in ihren Unterkünften sitzt und sich eigentlich nur noch selber schützt? Und auch das Argument, daß ja ein großes Truppenkontigent Deutschlands in Afghanistan stationiert ist, und deshalb die Bundeswehr nicht im Irak eingesetzt werden kann, ist angesichts der unhaltbaren Lage der USA im Irak ebenfalls hinfällig geworden.

Ein weiterer Grund für eine neue Lageanalyse liegt sicher darin, daß die Gesamtsituation in Zentralasien immer undurchsichtiger wird. Usbekistan erlaubt zwar noch die Nutzung der dortigen deutschen Basis für Transportzwecke nach Afghanistan, aber der Gipfel der "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" (SCO), der Usbekistan, Tadjikistan, Kirgisien, Kasachstan, China und Rußland angehören, hat unmißverständlich einen Zeitplan für den Abzug ausländischer Truppen aus diesen Ländern aufgestellt.

Es muß bezweifelt werden, daß sich Afghanistan unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen überhaupt stabilisieren läßt. Auf jeden Fall werden essentielle deutsche Sicherheitsinteressen heute weniger denn je am Hindukusch verteidigt. In Wirklichkeit gab es dort nie essentielle deutsche Sicherheitsinteressen, die eine Stationierung der Bundeswehr rechtfertigen könnten. Gegenwärtig sitzen Bundeswehr und deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan in einer Falle, die aber zum Glück noch nicht endgültig zugeschnappt ist. Das Gebot der Stunde wäre, ohne Verzug einen geordneten Rückzug von Bundeswehr wie Hilfsorganisationen aus Afghanistan in Gang zu setzen. Noch haben wir eine Chance, die wir nicht verspielen dürfen. Wenn es zu einem amerikanischen Krieg gegen den Iran kommt, ist es zu spät.

Dies bedeutet nicht, daß wir Afghanistan seinem Schicksal überlassen müssen. Aber eine realistische Chance für den wirtschaftlichen Aufbau des Landes kann es nur geben, wenn der Ausbau der Eurasischen Landbrücke von den Regierungen Eurasiens gemeinsam auf die Tagesordnung gesetzt wird. Nur wenn es ein übergeordnetes Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung aller beteiligten Nationen gibt, werden die Rahmenbedingungen für die Lösung der Probleme Afghanistans geschaffen. Und nur wenn die mächtigen Staaten Eurasiens zusammenarbeiten, kann der Drogenanbau und -handel, der heute eine der ergiebigsten Geldquellen für den internationalen Terrorismus darstellt, ausgetrocknet werden. Die afghanische Bevölkerung würde mit Sicherheit lieber Landwirtschaft betreiben und die Industrie entwickeln, als Sklave der Drogenbarone zu sein.

Die Afghanistanpolitik Deutschlands ist nur eines der vielen politischen Themen, an denen deutlich wird, daß es pragmatische Lösungen innerhalb eines Systems, das auf falschen Axiomen aufgebaut ist, auf Dauer nicht geben kann. Die CDU/CSU forderte damals, als es um den Beschluß zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ging, absolute Unterordnung unter die Politik der Regierung Bush-Cheney, um die deutsche "Bündnisfähigkeit" zu beweisen - und das trotz der Fragwürdigkeit der Begründungen, die für diesen Einsatz herhalten mußten und trotz völkerrechtlicher Bedenken. Und wenn es nach Frau Merkel gegangen wäre, dann wären inzwischen noch weitaus mehr deutsche Soldaten gefallen - und zwar im Irak.

Jetzt ist eine umfassende Vision für eine Friedenspolitik in ganz Eurasien notwendig. Genau das bedeutete der Ausbau der Eurasischen Landbrücke. Unter der Voraussetzung, daß die Kriegspolitik von Bush-Cheney und der Neocons in den USA selbst gestoppt werden kann, müssen wir unverzüglich die eurasische Integration durch wirtschaftliche Kooperation auf die Tagesordnung setzen." Helga Zepp-LaRouche

*(Die ganze Erklärung wurde in der Ausgabe 32/2005 der Wochenzeitung "Neue Solidarität" veröffentlicht).