Afghanistan: Rußland fordert internationale Anti-Drogen-Koalition
3. April 2010 • 02:22 Uhr

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Beim Treffen des Nato-Rußland-Rats in Brüssel am 24. März 2010, bot der Vorsitzende der russischen Drogenbekämpfungsbehörde (FDCS), Viktor Iwanow, den NATO-Staaten die Zusammenarbeit seines Landes bezüglich der Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan an. Die Weigerung der westlichen Staaten, sich aktiv an der Zerstörung der Opiumfelder zu beteiligen, veranlaßte dann am folgenden Tag (25. März) das russische Außenministerium zu einer Erklärung, in der man diese Entscheidung verurteilt und den USA vorwirft, mit den Drogenbossen Afghanistans gemeinsame Sache zu machen.

Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität setzt sich für den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan ein, da die Lage ohne effektive Drogenbekämpfung und einen umfassenden wirtschaftlichen Aufbau nicht zu beherrschen ist.

Im folgenden veröffentlichen wir Auszüge der Rede Iwanows vom 24. März 2010:

Richtlinien der Zusammenarbeit zwischen Rußland und der NATO zur Eliminierung des globalen Phänomens afghanischer Drogenproduktion

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,

Sehr geehrte Delegierte,

Sehr bald, nämlich am 8. Mai, wird die Welt das 65. Jubiläum des Sieges der Alliierten im zweiten Weltkrieg feiern. [...]

Es scheint, als sollte jetzt ein neues, breites Bündnis – aber diesmal gegen Drogen anstatt gegen Hitler – errichtet werden.

Dabei ist uns wichtig, sowohl bestehende Bündnisse und Traditionen der Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, als auch uns der Tatsache bewußt zu sein, daß die Drogenproduktion in Afghanistan ein solch ungeheures Maß angenommen hat, daß sie zum fundamental zerstörerischen Faktor für die Bevölkerungen unserer Länder geworden ist.

Wir sind Professionelle, die die Notwendigkeit einer angemessenen Reaktion auf diese wachsende Bedrohung begreifen, und wirkungsvolle Lösungen anstreben um unsere Bürger zu schützen.

Vor einigen Tagen bin ich aus Kabul zurückgekehrt, wo ich dieses Problem mit Vertretern der Einrichtungen für Drogenbekämpfung von Rußland, der ISAF-Länder, Afghanistans sowie der UN-Mission diskutiert habe.

Lassen Sie mich daher einige Worte zu den offiziellen Schätzungen bezüglich der Drogenherstellung in Afghanistan sagen, die eine gemeinsame Herausforderung für unsere 29 Länder darstellt.

Laut UNO sterben jedes Jahr 100.000 Menschen an afghanischem Heroin. Inzwischen sind etwa 1 Million Menschen an Drogen aus Afghanistan gestorben, während 16 Millionen  moralisch oder physisch geschädigt wurden.

[Der Anteil afghanischen Heroins] am  internationalen Konsum betrug 2008: 21 Prozent in Rußland (70 Tonnen), 26 Prozent in Europa ohne Rußland und Türkei (88 Tonnen), 6 Prozent in USA und Kanada (22 Tonnen). Demzufolge machen die heute an diesem Ort vertretenen Länder mehr als die Hälfte des weltweit konsumierten Heroins aus.

Unsere Länder stellen den größten Anteil am Weltmarkt für Opiate dar: etwa 20 Milliarden von insgesamt 65 Mrd. US-Dollar in Europa; $13 Mrd. in der russischen Föderation; $8 Mrd. in USA und Kanada. Das heißt, unsere Länder machen 59% des Weltmarktes für Opiate aus.

Wenn man von Bedrohungen und Herausforderungen spricht, denen sich unsere Länder ausgesetzt sehen, dann sollte man die Zahlen der Verluste an Menschenleben durch Vorgänge in Zentralasien mit einander vergleichen. So ist es erschreckend, daß in NATO-Ländern jährlich 50mal soviel Zivilisten an Heroin-Überdosen sterben, als Soldaten in Afghanistan. Dies wird durch Daten vom Leiter des UNODC, Antonio Costa, bestätigt: 10.000 Bürger aus Ländern des Nordatlantischen Bündnisses sterben jedes Jahr an Drogen aus Afghanistan. Offensichtlich sollten Militäroperationen in dieser Region nicht dem Selbstschutz dienen, sondern dem Schutz der Menschen in den oben erwähnten Ländern, die außerdem als Steuerzahler für die Operationen ihrer Soldaten aufkommen.

Man sollte indessen die Tatsache besonders betonen, daß außer dem unmittelbaren Schaden am Leben und der Gesundheit unserer Bürger, die Drogenherstellung in Afghanistan sowohl  die transnationale organisierte Kriminalität schafft und stärkt, aber auch – und das ist höchst gefährlich – massive finanzielle und menschliche Ressourcen für terroristische und extremistische Organisationen verfügbar macht, zur Beschaffung von Waffen, Sprengstoff und Kommunikationseinrichtungen, die dann in Operationen gegen die friedliche Bevölkerung zum Einsatz kommen.

Indessen zeugt der Mangel an Erfolgen bei internationalen Anti-Drogen-Einsätzen in der Region über lange Zeit, genauer gesagt in den letzten 8,5 Jahren, von der Unzulänglichkeit angewandter Sicherheitsmethoden. Zusammengefaßt kann allgemein gesagt werden, daß die bestehende Ordnung nicht nur ineffizient ist, sondern sogar negative Ergebnisse liefert.

[...]

1998 wurden politische Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogengefahr festgelegt.

Als Resultat sank das produzierte Opium in Afghanistan um den Faktor 12. Wurden 1998 noch 2693 Tonnen Opium hergestellt, so waren es 2001 nur 185 Tonnen.

Ein neuer Maßnahmenkatalog, der von der internationalen Gemeinschaft im bedeutungsvollen Jahr 2001 angenommen wurde, führte zu einem drastischen Anstieg der Opiumherstellung, nämlich auf ein Vierzigfaches. Medizinisch ausgedrückt, kann daher gesagt werden, daß sich das angewandte Heilmittel als schädlicher als die zuvor diagnostizierte Krankheit erwiesen hat.

[...]

In der gegenwärtigen Lage möchte ich dem Nato-Rußland-Rat die Hauptbestandteile des russischen Plans zur Eliminierung der afghanischen Drogenproduktion als praktische Grundlage für die Zusammenführung der Bemühungen Rußlands und der NATO-Staaten vorlegen:

  •  Anhebung der Einstufung der afghanischen Drogenproduktion auf die einer Bedrohung für den globalen Frieden und die globale Sicherheit durch den UN-Sicherheitsrat.
  • Ausweitung und Umsetzung eines Programms zur wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans durch den Ausbau der Infrastruktur, vor allem der Energie- und Stromerzeugung, sowie die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen für afghanische Bürger (mindestens 2 Millionen).
  • Eliminierung des Schlafmohn-Anbaus durch bewährte Methoden, wobei die Effizienz von 3% auf mindestens 25% gesteigert werden sollte.
  • Eintragung in der „UN Sanctions List“ [Sanktionsliste der UN] all derjenigen Landbesitzer, die auf ihrem Land Mohnanbau zulassen. Zu diesem Zweck Einführung einer besonderen Kataster-Registrierung des Gebiets der südlichen Provinzen Afghanistans.
  • Aufnahme der Befugnis und Verpflichtung zur Zerstörung des Schlafmohnanbaus in Afghanistan in das ISAF-Mandat.

[Es folgen noch zwei Punkte, zum Nachrichten- und Datenaustausch sowie zur Ausbildung der afghanischen Drogenpolizei. Anm. d. Red.]

[...]

Die Umsetzung dieses Plans mag die Schaffung einer Kommission oder Agentur zur Zerstörung des afghanischen Rauschgiftanbaus mit einer klaren Zielsetzung für die nächsten 5 Jahre erfordern.

Wenn dieser Plan unterstützt und angenommen wird, bin ich sicher, daß einer solchen Anti-Drogen-Koalition ein effektives Instrumentarium zur Verfügung steht und sie erfolgreich sein wird.

Der heute von unserem Kollegen, Herrn Rasmussen, gepriesene Erfolg der Moshtarak-Operation, der die Provinz Helmand von Aufständischen befreit hat, fand zufällig gerade in der Region statt, in der 75% des afghanischen Opiums produziert wird.

So können wir bereits heute große Möglichkeiten zur Realisierung von Punkt 3 unseres Planes sehen, nämlich der Ausrottung von 60% der Weltdrogenproduktion.

Vielen Dank.