Die parallele Welt des „Finanzstandorts Deutschland“
16. Februar 2011 •

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Am 24.2.2003 berichtete das Handelsblatt über ein Treffen zwischen Regierung und Spitzenvertretern der deutschen Banken und Versicherungen. Josef Ackermann schlug damals zur Rettung der Bankenlandschaft eine „Bad Bank" vor, und das Handelsblatt beschrieb auch, was das sein sollte: „Diese Kreditwerkstatt wird auch als Bad Bank bezeichnet und soll dazu dienen, die Kredite notleidender Banken zu bündeln, als Wertpapier zu verpacken und wieder zu verkaufen. Zur Entlastung solle der Staat für die Risiken einstehen und eine Garantie abgeben, hieß es weiter."

Warum unbedingt der Staat zur Entlastung für die Risiken privater Geldinstitute einstehen sollte, wird zwar nirgendwo erklärt, aber an den Rettungspaketen der letzten drei Jahre und der daraus resultierenden schleichenden Zahlungsunfähigkeit der einzelnen Euro-Mitgliedsländer kann man auf jeden Fall eine Wirkung erkennen, die das ganze nach sich zieht: die Verarmung der europäischen Bevölkerung.

Schon damals, vor 2003, wickelte die öffentliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) neben der privaten Depfa die meisten Verbriefungsgeschäfte für die damals angeschlagenen Banken wie Commerzbank und Dresdner Bank ab. Aber die bis dahin getätigten Verbriefungen im Wert von 28,7 Mrd. Euro schienen noch nicht auszureichen, um das Bankensystem in Deutschland zu „stützen", und vor allem deshalb verlangte die private Bankenlandschaft einen Umbau des „Finanzstandorts Deutschland".

Zur Beruhigung zitierte das Handelsblatt damals die Aussagen der rot-grünen Bundesregierung über das Treffen: „Aus dem Bundesfinanzministerium hieß es, die derzeit angespannte Situation der Banken berge kein Gefährdungspotential für die den Finanzplatz Deutschland. Die regelmäßigen Treffen auf höchster Ebene von Regierung, Banken und Versicherungen würden fortgeführt. Es habe beim letzten Gespräch keinen aktuellen Anlaß gegeben."

Umkehrung der Werte durch die IFD

Diese folgenden „regelmäßigen Treffen" - für die es dem Vernehmen nach genauso wenig „Anlaß" gab wie für dieses erste - wurden dann dazu genutzt, die neuen Methoden der Verlustabschreibung und der sogenannten „Finanzindustrie" mit ihrem Hauptgeschäft des Investmentbankings, das bisher sein Zentrum in London hatte, endlich auch in Deutschland einzuführen und dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das erste dieser „regelmäßigen Treffen" der Initiatoren und Teilnehmer der „Initiative Finanzstandort Deutschland" fand im Mai 2003 statt. Mit dieser Initiative wurde Geld in Deutschland endgültig zur Ware und war nicht mehr nur der Diener der Wirtschaft und der Bevölkerung.

Knapp ein Jahr später, im Februar 2004, berichteten die Leiter und für die einzelnen Bereiche verantwortlichen „Experten" dieser Initiative über die Ziele und Vorgehensweise, auf die sie sich „einigen" konnten. Der eine der beiden Leiter und führenden Köpfe war der damalige Staatsekretär im Bundesfinanzministerium (BMF) und heutige Deutsche-Bank-Vize Caio Koch-Weser, der andere die damalige wie heutige Nummer Eins der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Beide zeigten schon damals, was der Kern der von ihnen erdachten Veränderungen sein sollte: „Im Bereich der Corporate Governance gehört Deutschland mit seinem nationalen Kodex zu den Vorreitern in Europa", lobte Koch-Weser das Ergebnis seiner Arbeit.

Für manche wird vielleicht nicht ganz klar sein, was mit „Corporate Governance" und „nationalem Kodex" gemeint ist, aber in der Rückschau kann man sehr gut sehen, worauf damit abgezielt wurde. Denn diese Corporate Governance war so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was in Deutschland seit 1945 praktiziert wurde - nämlich der streng regulierten, sozialen Marktwirtschaft, mit der in Deutschland der Wiederaufbau so schnell und erfolgreich organisiert werden konnte und auch der bisher auf dieser Welt einzigartige deutsche Mittelstand (wieder) erschaffen wurde. Die engen Verbindungen der vom Staat regulierten und beaufsichtigten Banken zur Industrie bildete den stabilen Rahmen, in dem sich der deutsche Mittelstand entwickeln konnte, und waren der Kern dessen, was nachher nur noch als „Deutschland AG" verunglimpft wurde. Nur in dieser Form konnte das deutsche Wirtschaftswunder, das die Grundlage für unseren Wohlstand schuf, seinen Lauf nehmen.

Heute ist es nun leider eher anders herum: Nicht der Staat regelt die Banken, sondern die Banken diktieren dem Staat ihre Bedingungen, und selbst Frau Merkel gibt zu, daß die Banken die Bundesregierung erpressen.

Die Banken waren damals z.B. durch Steuern und Vorschriften angehalten, Beteiligungen an Firmen und Industrien zu halten, d.h. die Gesetze für Versicherungen, Banken und verwandte Institute waren auf eine langfristige Wirtschaftsförderung ausgelegt, nicht wie heute auf den kurzfristigen Profit. Die Bundesregierung unter Kanzler Adenauer und der KfW- und spätere Deutsche-Bank-Chef (und Ackermann-Vorgänger) Hermann Josef Abs wollten und mußten sicherstellen, daß die Firmen in Deutschland eine günstige und gleichzeitig effektive Finanzierung und Sicherheit hatten, und genau darauf waren die Wirtschafts- und Finanzgesetze Deutschlands ausgerichtet. Ganz nebenbei dachten die Menschen damals auch im Sinne der Wirtschaft noch etwas patriotischer, es war weitgehend bekannt, daß der gesellschaftliche Wohlstand und die Verteidigung des Gemeinwohls nur durch eine national geregelte Wirtschaft erreicht werden kann.

Genau diese Rolle der Banken und insgesamt des gut regulierten „Finanzstandorts Deutschland" wollten Ackermann und Koch-Weser nun durch die „Initiative Finanzplatz Deutschland" (IFD) in einem Rundumschlag endgültig zerschlagen und stattdessen unter dem Motto „Stärken bündeln - Zukunft gestalten" ein neues Deutschland erschaffen - die Folgen sehen wir heute. Die künstliche Aufregung damals über den Vorschlag einer „Bad Bank" lenkte dabei eher ab von der Tatsache, daß den Deutschen durch den Aufbau einer neuen finanziellen Parallelwelt endgültig ihre Wirtschaftstradition genommen werden sollte.

Nach dem Platzen der New-Economy-Blase

Die Umstände waren schlecht genug. Nach dem Ende der New-Economy-Blase nach der Jahrtausendwende und dem Immobilienspektakel, das u.a. zum Berliner Bankenskandal führte und in das auch die Landesbanken verwickelt wurden, wollte man das System endlich neu aufstellen. Sinnvoll wäre es schon damals gewesen, als Konsequenz der Skandale und Krisen zur früheren strengen Regulierung der Finanzbranche zurückzukehren. Aber man tat das Gegenteil - und zwar weltweit: 1999 setzte der US-Kongreß das Glass-Steagall-Trennbankensystem außer Kraft, und die Veränderung der deutschen Bankenlandschaft zeichnete sich spätestens mit dem Beschluß der vorgezogenen Währungsunion ab, denn die traditionellen Wege zur langfristigen Finanzierung der deutschen Wirtschaft wurden schon durch den Maastrichter und den Amsterdamer EU-Vertrag so umgebaut und grundlegend verändert, daß sie sich für die Banken nicht mehr lohnten oder gar ganz verboten waren.

So wurde den Landes- und Förderbanken, die mit den Sparkassen eng verbunden und mit die wichtigsten Kreditgeber des Mittelstands waren, durch Maastricht die Gewährsträgerhaftung (d.h. die Haftung des Staates) und ihre klassischen Aufgaben entzogen. Durch Spekulation und etliche Fusionen unter den ehemaligen Förderbanken, die allesamt privatisiert wurden und damit kaum noch zur Versorgung der Gesellschaft mit Krediten zur Verfügung standen, entstand in der deutschen Wirtschaft zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Kreditklemme, die anscheinend keiner der Beteiligten so recht verstand, die aber dazu benutzt wurde, den Argumenten für die IFD, mit der man den Finanzstandort Deutschland umbauen wollte, Nachdruck zu verleihen.

In einem Artikel über die Arbeit der IFD vom 28.11.2003 beschrieb das Handelsblatt den neu einzuführenden Verbriefungsmarkt und die zukünftige „Möglichkeit" für mittelständische Unternehmen, sich in einem „standardisierten Verfahren" an der Börse mit Fremdkapital „auszustatten", statt einfache Kredite zu besorgen:

„Fachleute sehen in der Standardisierung eine Vorstufe für den Aufbau regelrechter Kreditfabriken. Dort würden Arbeitsabläufe wie etwa die Durchleuchtung des Kreditnehmers rationalisiert. Außerdem würde die spätere Verbriefung der einzelnen Kredite in gebündelten Großkrediten organisiert, die dann auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können und die Bankbilanzen entlasten. Das mache das Kreditgeschäft für die Banken wieder attraktiv, sagte ein Insider dem Handelsblatt. ,Damit können wir die Kreditklemme, unter der vor allem die Firmen mit weniger guter Bonität leiden, beenden.‘"

Für den deutschen Mittelstand galt das mit den Krediten nicht, die sollten ja an die Börse, aber z.B. für amerikanische Hauskäufer und für viele, viele der sogenannten Spekulationsfonds galt es: Für Kredite brauchte man nun keine großen Sicherheiten mehr anzugeben, und Banken, die auf faulen, nicht bedienten Krediten sitzen, können diese nun einfach mit anderen „Finanzprodukten" - wie etwa Krediten, die noch abbezahlt werden, oder Immobilien - vermischen und in einem gemeinsamen oder in Tranchen aufgeteilten Portfolio als Anlage „bündeln". Das ganze wird dann mit einem guten „Rating" versehen, was dem Anleger zeigen soll, daß es sich um eine sichere Anlage handele, und auf diese Weise werden in den Bilanzen der Banken die faulen Kredite versteckt.

So sah das Vorbild im Ausland aus, und das war auch das etwas umständlich erklärte Ziel der IFD für Deutschland. Wobei man sagen kann: Jeder in der globalisierten Finanzindustrie hat seine eigene Aufgabe bekommen, und es ist leichter, so etwas wie Hedgefonds zuzulassen, als einem geregelten Finanzstandort, wie der deutsche es lange war, weiszumachen, daß es nicht mehr notwendig sei, Kreditnehmer auf ihre Bonität zu prüfen.

Personalien und Ziele: Deutschland - Standort mit Potential

Wenn man sich die Personalien der Mitarbeiter der frühen IFD ansieht, versteht man auch, warum heute die Bundesregierung nichts wirklich Grundlegendes gegen die Finanzkrise tun will, denn aus der Sicht der Bundesregierung ist das ganze anscheinend nichts anderes als 2003 - nur im größeren Maßstab (wie lange hat man das Wort Krise vermieden?). Und die Eurokrise hat ja eh nichts mit der Wirtschaft zu tun, oder?

Leiter und Hauptakteure dieser „von der Privatwirtschaft getragene Initiative Finanzstandort Deutschland" waren, wie schon erwähnt, Josef Ackermann von der Deutschen Bank und Caio Koch-Weser, damals Staatssekretär im BMF, heute Vizepräsident der Deutschen Bank. Weitere Akteure waren u.a. Günter Bräunig, KfW - zwischendurch IKB-Vorstand; Wolfgang Hartmann, Commerzbank; Jürgen Stanowski, Dresdner Bank; Martin Möhrle, Deutsche Bank; Heiko Beck, Commerzbank; Klaus Droste, Deutsche Bank, heute McKinsey; Edgar Zoller, HVB, heute Bayern LB; Jörg Asmussen, True Sale International und Leiter des Bereichs nationaler und internationaler Finanzmärkte im BMF, heute Staatsekretär im BMF; Stefan Mai, Deutsche Börse; der SPD-Politiker Axel Nawrath, mehrere Vorstandsposten u.a. Deutsche Börse und Staatsekretär im BMF, heute im KfW-Vorstand; Hans-Jürgen Friedrich WGF; Lothar Härteis, Bayrische IfA, Michael Heise, Allianz/Dresdner; sowie Ulrich Kater, Dekabank.

Die einzelnen Hauptbereiche waren

  • der Mittelstand und seine Finanzierung,
  • die Altersvorsorge,
  • die Weiterentwicklung der Immobilienmärkte,
  • die Gestaltung des Euro-Zahlungsverkehrs und EU-Finanzmarktintegration,
  • Finanzausbildung/Bildung und Forschung im Finanzwesen.

Weitere Unterbereiche waren

  • die Verbesserungen der steuerlichen Rahmenbedingungen und
  • die volkswirtschaftliche Perspektive.

Beteiligte Unternehmen und Verbände waren oder sind: Allianz/Dresdner, Bayern LB, BMF, Commerzbank, Dekabank, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Bundesbank, DZ Bank, Hypovereinsbank, KfW, Münchener Rück, Morgan Stanley, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. und der Bundesverband Deutscher Banken.

Gemeinsam erschufen sie die Strukturen für die Einführung dieses ganzen neuen Wirtschaftsbereichs, einer Art Parallelwelt, die nichts zum allgemeinen Wohlstand der Gesellschaft beiträgt, weil sie keinen physischen Wert produziert und nicht auf den langfristigen Aufbau der für die Bevölkerung wichtigen, grundlegenden Wirtschaftsbereiche abzielt, sondern im Gegenteil, wie wir heute an der Finanzkrise sehen können, den Wohlstand schmälert und die Bevölkerung ärmer macht.

Wenn man sich heute, inmitten der inzwischen schon weit fortgeschrittenen Finanzkrise, die Aufsätze der Verantwortlichen zur Hand nimmt und die Argumente und Bereiche ansieht, die sie bearbeiteten, bekommt man eine gute Vorstellung davon, woher diese Finanzkrise überhaupt kommt. Es ist zwar nicht die erste, aber die bisher letzte große Initiative, um Deutschland seine Wirtschaftstradition zu nehmen, was scheinbar in unserer Gesellschaft nicht ganz verstanden wird.

Ackermann und Koch-Weser beschreiben in ihrem einleitenden Essay sehr schön, was sie als „Potential" ansehen: „Der deutsche Finanzstandort hat zahlreiche Stärken gegenüber seinen europäischen Nachbarn. Dies gilt nicht nur für Parameter wie die volkswirtschaftliche Stärke Deutschlands, die Bevölkerungszahl oder das Brutto-Inlandsprodukt, sondern auch die Zahlen des Finanzmarktes sprechen für sich..."

Was von solchen Formulierungen zu halten ist, zeigt die Tatsache, daß Ackermann selbst kurz zuvor noch die Schaffung von „Bad Banks" gefordert hatte - und auch heute sprechen die Zahlen des Finanzmarktes eine sehr eindeutige Sprache über das, was Ackermann, Koch-Weser & Co. mit ihrer „Initiative Finanzstandort Deutschland" angerichtet haben.

Tatsächlich hatten wir in Deutschland nicht nur eine starke und effiziente Volkswirtschaft, eine hohe Bevölkerungszahl und durch den Einsatz und der Entwicklung von neuer Technik ein großes Brutto-Inlandsprodukt. Wir waren auch die besten Sparer und die Nummer Eins bei der Ausgabe von Rentenpapieren, d.h. Deutschland war gut organisiert und strukturiert - bevor die EU-Gesetzgebung, die man aber nicht grundlegend in Frage stellen wollte, die ersten Turbulenzen entfachte. Anstatt die Zügel anzuziehen, ließ man immer fragwürdigere Finanzpraktiken zu, die uns in die heutige Finanzkrise hineingeführt haben. Die Banken werden regelmäßig auf Kosten der Bevölkerung gerettet, kein Land in Europa ist mehr wirklich langfristig gesehen gesund, alle Regierungen müssen sparen, einige sogar so massiv wie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Sie sollten sich wirklich fragen, ob Sie nicht lieber mit der BüSo für ein neues Bretton Woods und ein Trennbankensystem für Deutschland kämpfen, denn damit werden wir unsere Gesellschaft noch viel besser finanzieren können, als wir schon nach dem letzten Krieg den Wiederaufbau und das sogenannte Wirtschaftswunder, mit der Politik für das Gemeinwohl, finanzieren konnten.





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